OLG Celle, Beschl. 14.12.2022 - 15 UF 137/21
Unwirksamkeit der ehevertraglichen Rechtswahl für „islamisches Recht“
Autor: Priv.-Doz. Dr. Peter Finger, RA und FAFamR, zertifiz. Mediator, Frankfurt/M.
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 09/2023
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 09/2023
Auch ein Ehevertrag, der auf einem Formulierungsvorschlag des Bundesverwaltungsamts für Eheschließungen im islamischen Kulturkreis beruht, kann unwirksam sein.
EGBGB a.F. Art. 15; EGBGB Art. 6; HUP Art. 8a; VO (EU) Nr. 1259/2010 Art. 5c; BGB § 134, § 138, § 139, §§ 1564 ff., §§ 1569 ff.; ZPO § 256 Abs. 2, § 301
Insgesamt sei der Ehevertrag der Beteiligten unwirksam, auch für den güterrechtlichen Anteil, die vereinbarte Gütertrennung, § 139 BGB. Grundlage für die Rechtsanwendung bei uns sei Art. 15 EGBGB a.F., da M. und F. vor dem 29.1.2019 geheiratet hätten (Übergangsvorschriften zu den Regeln der EuGüVO Art. 229 § 47 Abs. 2 und 3 EGBGB, § 69 Abs. 3 EuGüVO, Verweis auf Art. 14 EGBGB a.F., Andrae in AnwKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 2 und 3). Beide Gatten hätten sich durch ihre Wahl auf dt. oder libanesisches Güterrecht verständigen können, dazu Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB a.F. Sie fehle aber. Deshalb sei für das Ehescheidungsverfahren dt. Recht Grundlage, Art. 8a VO (EU) Nr. 1259/2010. Für Unterhaltsansprüche werde das HUP maßgeblich, dort Art. 3, vgl. auch Art. 15 EuUntVO, Rechtswahl sei vorgesehen in Art. 8 (mit einigen Einschränkungen). Allenfalls käme für das Güterrecht ein stillschweigender/konkludenter Abschluss in Betracht. Doch fehlten dafür ebenfalls ausreichende Anhaltspunkte. Insbesondere lasse die vereinbarte Gütertrennung nicht auf die Absichten der Eheleute schließen, libanesisches Recht zu wählen, einmal abgesehen von Art. 6 EGBGB. Schließlich sei Gütertrennung auch im dt. Recht vorgesehen. Vielmehr seien beide wohl dem Entwurf für einen Ehevertrag für den islamischen Kulturkreis gefolgt, den das Bundesverwaltungsamt noch 2011/2012 empfohlen habe (Bd. II Bl. 148–258, S. 37 ff., zu erhalten über das Stichwort „islamische Eheverträge“, abrufbar unter https://www.verband-binationaler.de/fileadmin/Dokumente/PDFs/Islamische_Ehevertraege_Download.pdf). Aber sie hätten sich eben nicht wie notwendig auf ein staatliches Recht verständigt, etwa des Libanon (oder von Deutschland). Schließlich käme dt. Güterrecht nach objektiver Anknüpfung zur Anwendung, auch für den Unterhalt und den Versorgungsausgleich, so wäre zu ergänzen. Die weiteren, im Vertrag für den Ablauf der Ehescheidung festgelegten Voraussetzungen seien zumindest für dt. Gerichte ohne Bedeutung (abgesprochene Scheidungsgründe, etwa bei Unterhaltspflichtverletzung oder für Unterhaltsansprüche der Ehefrau gebunden an schuldhaftes Fehlverhalten des Ehemannes u.a., wobei Art. 10 VO Nr. 1259/2010 zu beachten sein könnte, Einzelheiten für die elterliche Sorge, zeitliche Regelung für ihre Ausübung usw.). Würden, so weiter das OLG Celle, die vertraglich abgesprochenen Berechtigungen und Verpflichtungen in ihr Verhältnis gebracht, entstehe so eine nicht mehr zu vertretende Benachteiligung von F., die die Scheidung nur unter den im notariellen Vertrag vereinbarten Voraussetzungen verlangen könne, Unterhalt unter erschwerten Bedingungen erhalte und bei der elterlichen Sorge schwere Einschränkungen hinnehmen müsse. Besondere Vorteile zum Ausgleich erhalte sie jedenfalls nicht. Die zugesagte Morgengabe sei auf 5.000 € beschränkt. Für den „Unterhalt“ unmittelbar nach der Trennung sei „ein Abstand“ mit dem bescheidenen Betrag von 1.000 € vorgesehen. Die sonstigen Klauseln im Ehevertrag – Zulässigkeit einer angemessenen Berufsausübung, Empfang von Besuchen aus dem Ausland im gemeinsamen Haushalt – seien ohnehin selbstverständlich und trüben das bereits entworfene Bild nur zusätzlich ein, so drängt sich der Eindruck auf.
Danach sei der Vertrag insgesamt unwirksam, weil die Lasten zwischen den Eheleuten in unzumutbarer Form verteilt seien, ohne dass allerdings die weiteren Voraussetzungen, etwa für die subjektive Seite dieser Vorschrift, festgestellt und in die Bewertung einbezogen werden. Offensichtlich will das OLG auf sie unmittelbar schließen, wenn die Nachteile objektiv ein gewisses Maß überschreiten. In III. des Vertrags sei zwar die übliche Absprache enthalten, dass die Unwirksamkeit einzelner Bestandteile nicht die weiteren Vereinbarungen erfassen sollten, salvatorische Klausel. So könne aber § 139 BGB nicht ausgeschaltet werden (Bezugnahme auf BGH v. 17.5.2006 – XII ZB 250/03, FamRZ 2006, 1097 = FamRB 2006, 229 [Borth]; BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 6/07, FamRZ 2008, 2011 Rz. 20 f. = FamRB 2008, 358 [Grziwotz]).
EGBGB a.F. Art. 15; EGBGB Art. 6; HUP Art. 8a; VO (EU) Nr. 1259/2010 Art. 5c; BGB § 134, § 138, § 139, §§ 1564 ff., §§ 1569 ff.; ZPO § 256 Abs. 2, § 301
Das Problem
Die Beteiligten, F. (Ag. im Scheidungsverfahren, Ast. für die Folgeanträge, dt. Staatsangehörige) und M. (Libanese) haben am 27.9.1996 vor dem (dt.) Standesbeamten in H. geheiratet. Kurz zuvor haben sie einen umfangreichen notariellen Ehevertrag (ebenfalls hier) abgeschlossen, mit dem sie ihre Verpflichtungen in der Ehe, für eine (mögliche) Scheidung und für ihre Rechtsverhältnisse danach, Unterhalt, Güterrecht, elterliche Sorge, geregelt haben, ohne allerdings auf das Recht eines Staates Bezug zu nehmen. Seit dem 30.8.2018 leben sie dauerhaft getrennt. Am 29.7.2019 hat M. beim FamG in H. das Scheidungsverfahren eingeleitet, in dem F. im Verbund Auskünfte zum Güterrecht – wie notwendig als Stufenanträge gefasst – verlangt und weitere Folgesachen betreibt. M. wendet ein, im Ehevertrag sei Gütertrennung vereinbart und beantragt deshalb Zurückweisung der Anträge seiner Frau. Mit Teilbeschluss v. 6.10.2021 gibt ihm das AG Recht, weil er keine Auskünfte erteilen müsse, denn F. ständen die Absprachen im Ehevertrag v. 29.8.1996 entgegen. Ihrer Beschwerde folgt das OLG Celle, das die Beteiligten mit Beschl. v. 6.7.2022 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, nach seiner Auffassung sei der Ehevertrag insgesamt unwirksam, so dass die allg. gesetzlichen Bestimmungen maßgeblich werden müssten. Wirksame Rechtswahl für ein anderes Recht fehle jedenfalls. Mit entsprechenden Anträgen zur Zwischenfeststellung hat F. daher ihr Vorbringen erweitert.Die Entscheidung des Gerichts
Den nun in der Beschwerdeinstanz erstmals gestellten Antrag, die Unwirksamkeit des Ehevertrags gerichtlich festzustellen, hält das OLG für zulässig (und für begründet). Das AG habe die Auskunftsanträge zum Güterrecht abgewiesen, weil der Ausschluss güterrechtlicher Forderungen durch den Ehevertrag – Gütertrennung – schon keine Auskunftsverpflichtungen für M. entstehen lasse. Zudem sei so eine unzulässige Teilentscheidung ergangen. Auf der Leistungsstufe seien immer noch abweichende Regelungen möglich. Deshalb müsse für F. ein Weg eröffnet sein, auch das zugrunde liegende Rechtsverhältnis in den Streit einzubeziehen und endgültig in seinem Bestand zu klären (im Anschluss an eigene Vorentscheidungen, etwa OLG Celle v. 23.7.2013 – 10 UF 74/12, FamRZ 2014, 226 und OLG Celle v. 19.8.2014 – 10 UF 186/14, FamRZ 2015, 71; zur BGH-Rspr.: BGH v. 26.4.2012 – VII ZR 25/11, NJW-RR 2012, 849, sowie allgemein: Kogel, Strategien beim Zugewinnausgleich, 7. Aufl., Rz. 109 ff. mit vielen Nachw.). Zurückverweisung an das AG sei gleichwohl nicht erforderlich, selbst wenn eine Instanz verloren gehe.Insgesamt sei der Ehevertrag der Beteiligten unwirksam, auch für den güterrechtlichen Anteil, die vereinbarte Gütertrennung, § 139 BGB. Grundlage für die Rechtsanwendung bei uns sei Art. 15 EGBGB a.F., da M. und F. vor dem 29.1.2019 geheiratet hätten (Übergangsvorschriften zu den Regeln der EuGüVO Art. 229 § 47 Abs. 2 und 3 EGBGB, § 69 Abs. 3 EuGüVO, Verweis auf Art. 14 EGBGB a.F., Andrae in AnwKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 2 und 3). Beide Gatten hätten sich durch ihre Wahl auf dt. oder libanesisches Güterrecht verständigen können, dazu Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB a.F. Sie fehle aber. Deshalb sei für das Ehescheidungsverfahren dt. Recht Grundlage, Art. 8a VO (EU) Nr. 1259/2010. Für Unterhaltsansprüche werde das HUP maßgeblich, dort Art. 3, vgl. auch Art. 15 EuUntVO, Rechtswahl sei vorgesehen in Art. 8 (mit einigen Einschränkungen). Allenfalls käme für das Güterrecht ein stillschweigender/konkludenter Abschluss in Betracht. Doch fehlten dafür ebenfalls ausreichende Anhaltspunkte. Insbesondere lasse die vereinbarte Gütertrennung nicht auf die Absichten der Eheleute schließen, libanesisches Recht zu wählen, einmal abgesehen von Art. 6 EGBGB. Schließlich sei Gütertrennung auch im dt. Recht vorgesehen. Vielmehr seien beide wohl dem Entwurf für einen Ehevertrag für den islamischen Kulturkreis gefolgt, den das Bundesverwaltungsamt noch 2011/2012 empfohlen habe (Bd. II Bl. 148–258, S. 37 ff., zu erhalten über das Stichwort „islamische Eheverträge“, abrufbar unter https://www.verband-binationaler.de/fileadmin/Dokumente/PDFs/Islamische_Ehevertraege_Download.pdf). Aber sie hätten sich eben nicht wie notwendig auf ein staatliches Recht verständigt, etwa des Libanon (oder von Deutschland). Schließlich käme dt. Güterrecht nach objektiver Anknüpfung zur Anwendung, auch für den Unterhalt und den Versorgungsausgleich, so wäre zu ergänzen. Die weiteren, im Vertrag für den Ablauf der Ehescheidung festgelegten Voraussetzungen seien zumindest für dt. Gerichte ohne Bedeutung (abgesprochene Scheidungsgründe, etwa bei Unterhaltspflichtverletzung oder für Unterhaltsansprüche der Ehefrau gebunden an schuldhaftes Fehlverhalten des Ehemannes u.a., wobei Art. 10 VO Nr. 1259/2010 zu beachten sein könnte, Einzelheiten für die elterliche Sorge, zeitliche Regelung für ihre Ausübung usw.). Würden, so weiter das OLG Celle, die vertraglich abgesprochenen Berechtigungen und Verpflichtungen in ihr Verhältnis gebracht, entstehe so eine nicht mehr zu vertretende Benachteiligung von F., die die Scheidung nur unter den im notariellen Vertrag vereinbarten Voraussetzungen verlangen könne, Unterhalt unter erschwerten Bedingungen erhalte und bei der elterlichen Sorge schwere Einschränkungen hinnehmen müsse. Besondere Vorteile zum Ausgleich erhalte sie jedenfalls nicht. Die zugesagte Morgengabe sei auf 5.000 € beschränkt. Für den „Unterhalt“ unmittelbar nach der Trennung sei „ein Abstand“ mit dem bescheidenen Betrag von 1.000 € vorgesehen. Die sonstigen Klauseln im Ehevertrag – Zulässigkeit einer angemessenen Berufsausübung, Empfang von Besuchen aus dem Ausland im gemeinsamen Haushalt – seien ohnehin selbstverständlich und trüben das bereits entworfene Bild nur zusätzlich ein, so drängt sich der Eindruck auf.
Danach sei der Vertrag insgesamt unwirksam, weil die Lasten zwischen den Eheleuten in unzumutbarer Form verteilt seien, ohne dass allerdings die weiteren Voraussetzungen, etwa für die subjektive Seite dieser Vorschrift, festgestellt und in die Bewertung einbezogen werden. Offensichtlich will das OLG auf sie unmittelbar schließen, wenn die Nachteile objektiv ein gewisses Maß überschreiten. In III. des Vertrags sei zwar die übliche Absprache enthalten, dass die Unwirksamkeit einzelner Bestandteile nicht die weiteren Vereinbarungen erfassen sollten, salvatorische Klausel. So könne aber § 139 BGB nicht ausgeschaltet werden (Bezugnahme auf BGH v. 17.5.2006 – XII ZB 250/03, FamRZ 2006, 1097 = FamRB 2006, 229 [Borth]; BGH v. 9.7.2008 – XII ZR 6/07, FamRZ 2008, 2011 Rz. 20 f. = FamRB 2008, 358 [Grziwotz]).