OLG Dresden, Beschl. 12.2.2020 - 4 U 2198/19

Löschung von „Hassrede“ in sozialen Netzwerken

Autor: RA Robin Schmitt, BDO Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 06/2020
Die pauschale Abwertung bestimmter Personengruppen in dem Post eines sozialen Netzwerks kann durch den Betreiber, der in seinen Nutzungsbedingungen „Hassrede“ verbietet, auch dann gelöscht werden, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Nutzer sie nicht ernst gemeint hat.

GG Art. 5; BGB § 307; StGB § 130

Das Problem

Die Nutzerin eines sozialen Netzwerks postete ein Bild der Kaaba, umringt von zahlreichen Gläubigen. Darüber stand in großer Schrift „End Terrorism. Nuke the Cube“. Das soziale Netzwerk löschte den Beitrag und sperrte das Profil der Nutzerin für 30 Tage. Dabei berief sich der Betreiber auf seine AGB, in denen u.a. „Hassrede“ verboten war. Hiergegen wehrte sich die Nutzerin. Sie war der Ansicht, die AGB seien aufgrund einer unwirksamen Änderungsklausel bereits nicht in den Vertrag zwischen den Parteien einbezogen. Zudem seien soziale Netzwerke nicht berechtigt, die Meinungsfreiheit durch ihre AGB einzuschränken. Schließlich sei der Beitrag nur eine sardonische Zuspitzung und nicht ernst gemeint, also zulässig.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht hat die zulässige Berufung der Nutzerin gegen die vollumfängliche Klageabweisung durch das erstinstanzliche LG wegen offensichtlich fehlender Aussicht auf Erfolg zurückgewiesen.

Verständnis des Beitrags: Ausgehend vom maßgeblichen Empfängerhorizont, der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums, sei dem Beitrag der Nutzerin keine andere Aussage als eine pauschale Abwertung von Muslimen zu entnehmen. Die Verknüpfung der Kaaba inmitten der Menschenmasse mit dem Begriff des Terrorismus bringe zum Ausdruck, dass der Islam eine terroristische Religion und Muslime Anhänger einer terroristischen Vereinigung oder zumindest Sympathisanten seien. Es handle sich also nicht um eine bloß abstrakte Religionskritik, sondern schlicht um die pauschale Vorverurteilung einer gesamten Religionsgruppe. Darüber hinaus werde der Einsatz einer Atombombe, also einer Massenvernichtungswaffe, gegen Muslime als legitimes Mittel zur Terrorismusbekämpfung dargestellt. Dem verständigen Durchschnittsleser könne sich auch keine andere Interpretation als die genannte erschließen; der Beitrag der Nutzerin greife Menschen allein aufgrund des Kriteriums der religiösen Zugehörigkeit in denkbar schärfster Weise an. Daher komme es auch nicht darauf an, ob die Nutzerin selbst diese Aussage ernst meine. Ebenso wenig handele es sich um „sardonische Religionskritik“. Die Atombombe als schrecklichste Massenvernichtungswaffe stehe symbolisch für die Überzeugung, es sei legitim, zur Terrorismusbekämpfung sämtliche Muslime zu töten.

Netzwerk-AGB: Aus diesen Gründen sei der Beitrag der Nutzerin auch zurecht als „Hassrede“ i.S.d. Gemeinschaftsstandards des sozialen Netzwerks einzustufen. Dies rechtfertige – unter Verweis auf eine frühere Entscheidung des Senats (OLG Dresden v. 19.11.2019 – 4 U 1471/19, ITRB 2020, 58) – die Löschung. Auch ein Urteil des OLG München (OLG München v. 7.1.2020 – 18 U 1491/19), das sich ebenfalls mit der Frage des Verhältnisses von AGB zur Meinungsäußerungsfreiheit beschäftigt habe und auf das sich die Nutzerin berufe, bestätige eine Vereinbarkeit der AGB-Klausel mit dem Art. 5 Abs. 1 GG. Die Gemeinschaftsstandards des sozialen Netzwerks zögen die Schranken nach, denen die Meinungsäußerungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 2 GG ohnehin unterworfen sei.

Volksverhetzung: Darüber hinaus sei zusätzlich der Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. c, Nr. 2 StGB verwirklicht. Die Nutzerin stelle sämtliche Muslime unter einen unbegründeten Generalverdacht und spreche ihnen das Recht ab, als Individuum wahrgenommen zu werden. Unter Missachtung des Gleichheitssatzes werde ihnen der soziale Wert und Achtungsanspruch abgesprochen. Mit dem Aufruf zur Vernichtung von Menschenleben durch den Abwurf einer Nuklearwaffe stachele die Nutzerin auch i.S.d. § 130 Abs. 2 Nr. 1 a Alt. 2 StGB auf. Mithin bestehe für das soziale Netzwerk zusätzlich eine Löschpflicht nach dem NetzDG.


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