OLG Dresden, Beschl. 29.6.2021 - 4 W 396/21
Bemessung eines Ordnungsgelds wegen unterlassener Entsperrung
Autor: RA, FAArbR Michael Wübbeke, LL.M. (Amsterdam), ENDEMANN.SCHMIDT Rechtsanwälte, Hamburg – www.es-law.de
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2021
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2021
Die Verpflichtung, es zu unterlassen, ein auf einer Internetplattform eingestelltes Video zu sperren, wird mit Verkündung der gerichtlichen Entscheidung wirksam.Behält sich der Unterlassungsschuldner eine mehrwöchige Frist zur Prüfung vor, ob die Entscheidung des Gerichts seinen internen Richtlinien genügt und verzögert sich aufgrund dessen die Vollziehung der Unterlassungsverfügung, liegt hierin ein vorsätzlicher, schwerer Verstoß gegen seine Unterlassungsverpflichtung, der durch ein angemessenes Ordnungsgeld zu sanktionieren ist.
ZPO § 890
Die Plattformbetreiberin kam ihrer Unterlassungspflicht aus dem Urteil hingegen nicht nach. Der Plattformnutzer beantragte daher am 30.4.2021 beim zuständigen LG Chemnitz die Verhängung eines Ordnungsgelds gegen sie i.H.v. nicht unter 25.000 €. Das LG Chemnitz setzte jedoch nur ein Ordnungsgeld von 1.000 € fest. Gegen diesen Beschluss wandte sich der Plattformnutzer im Rahmen einer sofortigen Beschwerde erneut an das OLG Dresden.
Doppelter Zweck des § 890 ZPO: Die spürbare Anhebung des erstinstanzlichen Ordnungsgelds erfolge wegen des doppelten Zwecks des § 890 ZPO. Zum einen diene dieser präventiv als zivilrechtliche Beugemaßnahme der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen. Zum anderen habe er repressiv eine strafähnliche Funktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots. Dieser doppelte Zweck erfordere es, die Bemessung der Ordnungsmittel primär mit Blick auf den Schuldner und dessen Verhalten vorzunehmen. Zu berücksichtigen seien insb. Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglicher künftiger Verletzungshandlungen für den Verletzten; daneben solle die Bemessung bewirken, dass aus Sicht des Schuldners die Titelverletzung wirtschaftlich nicht lohnend erscheine, so dass weitere Zuwiderhandlungen auch deshalb unterblieben.
Gravierende Missachtung: Die Plattformbetreiberin habe die Verbotsverfügung bereits mit ihrer Verkündung beachten müssen. Die verzögerte Umsetzung der Unterlassungsverfügung sei nicht aus technischen Gründen erst am 14.5.2021 erfolgt, sondern weil die Betreiberin in dem streitgegenständlichen Video – anders als in der Entscheidung des OLG v. 20.4.2021 im einzelnen dargelegt – einen Verstoß gegen ihre „Richtlinie zu medizinischen Fehlinformationen über Covid-19“ gesehen habe und deshalb die jeweiligen Konsequenzen der Entscheidung des OLG Dresden und ihre Möglichkeiten sorgfältig habe abwägen wollen, bevor sie das Videomaterial für den Abruf durch Dritte wieder einstellte. Dass eine solche Abwägung vor dem Hintergrund der Entscheidung des OLG jedoch weder veranlasst noch geboten gewesen sei, erschließe sich, zumal die Betreiberin anwaltlich beraten war, von selbst. Die bewusste Verzögerung der Umsetzung der Unterlassungsverfügung sei daher eine gravierende Missachtung der gerichtlichen Entscheidung. Es liege ein vorsätzlicher und schwerer Verstoß gegen die Unterlassungsverfügung vor. Aufgrund der Schwere des Verstoßes sowie unter angemessener Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Verfügungsbeklagten sei ein höheres Ordnungsgeld angezeigt.
ZPO § 890
Das Problem
Ein Plattformnutzer hatte am 20.4.2021 im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem OLG Dresden ein Urteil erwirkt, durch das der Plattformbetreiberin aufgegeben wurde, es zu unterlassen, ein vom Nutzer eingestelltes Video von ihrer Plattform zu entfernen und/oder ihn wegen des Hochladens dieses Videos zu verwarnen. Dieses Urteil wurde drei Tage nach Verkündung im Parteibetrieb zugestellt.Die Plattformbetreiberin kam ihrer Unterlassungspflicht aus dem Urteil hingegen nicht nach. Der Plattformnutzer beantragte daher am 30.4.2021 beim zuständigen LG Chemnitz die Verhängung eines Ordnungsgelds gegen sie i.H.v. nicht unter 25.000 €. Das LG Chemnitz setzte jedoch nur ein Ordnungsgeld von 1.000 € fest. Gegen diesen Beschluss wandte sich der Plattformnutzer im Rahmen einer sofortigen Beschwerde erneut an das OLG Dresden.
Die Entscheidung des Gerichts
Das OLG Dresden gab der sofortigen Beschwerde statt und erhöhte das Ordnungsgeld auf 100.000 €. Ersatzweise ordnete es für je 20.000 € einen Tag Ordnungshaft an, die gegen die Geschäftsführer der Plattformbetreiberin zu vollziehen ist.Doppelter Zweck des § 890 ZPO: Die spürbare Anhebung des erstinstanzlichen Ordnungsgelds erfolge wegen des doppelten Zwecks des § 890 ZPO. Zum einen diene dieser präventiv als zivilrechtliche Beugemaßnahme der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen. Zum anderen habe er repressiv eine strafähnliche Funktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots. Dieser doppelte Zweck erfordere es, die Bemessung der Ordnungsmittel primär mit Blick auf den Schuldner und dessen Verhalten vorzunehmen. Zu berücksichtigen seien insb. Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglicher künftiger Verletzungshandlungen für den Verletzten; daneben solle die Bemessung bewirken, dass aus Sicht des Schuldners die Titelverletzung wirtschaftlich nicht lohnend erscheine, so dass weitere Zuwiderhandlungen auch deshalb unterblieben.
Gravierende Missachtung: Die Plattformbetreiberin habe die Verbotsverfügung bereits mit ihrer Verkündung beachten müssen. Die verzögerte Umsetzung der Unterlassungsverfügung sei nicht aus technischen Gründen erst am 14.5.2021 erfolgt, sondern weil die Betreiberin in dem streitgegenständlichen Video – anders als in der Entscheidung des OLG v. 20.4.2021 im einzelnen dargelegt – einen Verstoß gegen ihre „Richtlinie zu medizinischen Fehlinformationen über Covid-19“ gesehen habe und deshalb die jeweiligen Konsequenzen der Entscheidung des OLG Dresden und ihre Möglichkeiten sorgfältig habe abwägen wollen, bevor sie das Videomaterial für den Abruf durch Dritte wieder einstellte. Dass eine solche Abwägung vor dem Hintergrund der Entscheidung des OLG jedoch weder veranlasst noch geboten gewesen sei, erschließe sich, zumal die Betreiberin anwaltlich beraten war, von selbst. Die bewusste Verzögerung der Umsetzung der Unterlassungsverfügung sei daher eine gravierende Missachtung der gerichtlichen Entscheidung. Es liege ein vorsätzlicher und schwerer Verstoß gegen die Unterlassungsverfügung vor. Aufgrund der Schwere des Verstoßes sowie unter angemessener Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Verfügungsbeklagten sei ein höheres Ordnungsgeld angezeigt.