1. Die Bereitschaft des unterhaltspflichtigen umgangsberechtigten Elternteils, das gemeinsame Kind zeitweilig selbst zu betreuen, um dem grundsätzlich betreuenden Elternteil eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, ist allenfalls dann beachtlich, wenn der Umgang geregelt ist oder unproblematisch funktioniert. Eine Änderung der bestehenden Umgangsregelung zum Zweck der Ausweitung der Erwerbstätigkeit des betreuenden Unterhaltsberechtigten kann dagegen regelmäßig nicht gefordert werden.2. Ein Wechsel des Kindes von der tatsächlich besuchten Kinderbetreuungseinrichtung in eine andere Einrichtung, die längere Betreuungszeiten bietet, damit der betreuende Elternteil in einem höheren Maß erwerbstätig sein kann, ist unterhaltsrechtlich nicht geboten.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 19.11.2018 - 1 UF 11/18
Vorinstanz: AG Frankfurt, Beschl. v. 30.10.2017 - 464 F 10306/16
BGB § 1615l Abs. 2 S. 2, S. 4, S. 5 Das Problem
Die beteiligten Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind oder waren, haben von 2009 bis Mai 2016 eine Beziehung geführt, aus der ein gemeinsamer, im Jahr 2014 geborener Sohn hervorging, der von der Mutter gepflegt und erzogen wird. Er besucht einen „Waldkindergarten”, in dem er an fünf Tagen der Woche von 8:15 bis 14:00 Uhr betreut werden kann. Auf eine verbindliche Umgangsregelung haben die Eltern sich bislang nicht einigen können. Im Haushalt der Mutter leben zwei weitere, im Zeitpunkt der Entscheidung 19 bzw. 20 Jahre alte Kinder aus ihrer früheren Ehe. Vor der Geburt des gemeinsamen Kindes war die Mutter als Hebamme sowohl als Teilzeitkraft in einer Klinik abhängig beschäftigt als auch selbständig tätig. In der Klinik nahm sie ausschließlich Nachtdienste wahr. Aus beiden Tätigkeiten erzielte sie insgesamt Einkünfte i.H.v. ca. 2.500 € netto/Monat. Seit Frühjahr 2017, etwa dem dritten Lebensjahr des zu betreuenden Kindes, arbeitete sie 9 Stunden/Woche als angestellte Hebamme in einer anderen Klinik und zwar ausschließlich während der Nachtschichten von 21:00 bis 6:00 Uhr des Folgetages. Sie absolvierte bis zu fünf Nachtschichten monatlich und erhielt hierfür ca. 544 € netto/Monat. Eine Ausweitung der Tätigkeit war nicht möglich, weil sie dann zwingend an dem rund um die Uhr laufenden Dreischichtbetrieb der Klinik hätte teilnehmen müssen, was jedoch mit den Betreuungszeiten des vom Sohn besuchten Kindergartens nicht vereinbar wäre. Die Wiederaufnahme der selbständigen Tätigkeit soll dem Vortrag der Mutter zufolge nicht in Betracht kommen, weil „Kinder zu jeder Zeit geboren” würden und die Versorgung der Wöchnerinnen mit den Öffnungszeiten des Kindergartens kollidierten. Die Mutter begehrt die Zahlung von Betreuungsunterhalt i.H.v. ca. 1.960 €/Monat, womit sie zusammen mit dem von ihr aktuell erzielten Einkünften von 544 €/Monat das vor der Geburt des Kindes bestandene Einkommensniveau von ca. 2.500 € erreichen würde. Der Vater meint, keinen Unterhalt zahlen zu müssen, weil die Mutter ihre Teilzeit- zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit ausdehnen könnte, wenn der Sohn an Stelle des „Waldkindergartens” den städtischen Kindergarten besuchen würde, der Betreuungszeiten von 7:00 bis 17:00 Uhr gewährleiste, und zusätzlich eine Betreuung auch durch ihn zugelassen würde, was er anbot. Die Entscheidung des Gerichts
Das OLG verpflichtet den Vater zur Zahlung von Betreuungsunterhalt i.H.v. 1.328 €/Monat. Die Mutter müsse sich zu den von ihr tatsächlich verdienten ca. 544 €/Monat weitere 628 €/Monat fiktiv zurechnen lassen, so dass sie zusammen mit Unterhalt (1.328 €) und tatsächlichen (ca. 544 €) sowie fiktiven (628 €) Einkünften an das vor der Geburt des Kindes erreichte Einkommensniveau von ca. 2.500 €/Monat wieder anknüpfen kann. Aufgrund seines Alters von etwa vier Jahren zum Zeitpunkt der Entscheidung sei der gemeinsame Sohn generell betreuungsbedürftig (vgl. Ziff. 17.1, 18 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Frankfurt) und deshalb könne von der Mutter keine Vollzeiterwerbstätigkeit erwartet werden. Die Höhe des Unterhalts bestimme sich ausschließlich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der unterhaltsberechtigten Mutter (§ 1615l Abs. 3 Satz 1, § 1610 Abs. 1 BGB). Die danach maßgebliche Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten richte sich danach, welche Einkünfte er ohne die Geburt und die Betreuung des gemeinsamen Kindes hätte. Dabei ist der Unterhaltsbedarf seit einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH v. 10.6.2015 – XII ZB 251/14, BGHZ 205, 342 = FamRZ 2015, 1369 Rz. 34 = FamRB 2015, 334 [A. Frank]) nicht mehr unabänderlich auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes „eingefroren”, sondern der Bedarf entwickele sich dynamisch in dem Sinn, dass die im Zeitpunkt der Geburt des Kindes bereits angelegte, absehbare Entwicklung zu berücksichtigen ist und daraus das aktuell erzielbare, nachhaltige Einkommen des betreuenden Elternteils hypothetisch ermittelt wird. Insbesondere in Fällen, in denen das Kind kurz vor dem Abschluss von Studium oder Ausbildung des betreuenden Elternteils geboren wird, führt das zu deutlich gerechteren Ergebnissen (vgl. KG v. 25.9.2018 – 13 UF 33/18, FamRZ 2019, 529 = FamRB 2019, 2 [Roessink]).