OLG Hamm, Beschl. 24.10.2023 - 13 UF 124/22

Auskunftsverpflichtung über offene Honorar-Forderungen zur güterrechtlichen Bewertung freiberuflicher Praxen

Autor: RA Jörn Hauß, FAFamR, Duisburg/Ltd. RiAG a.D. Dr. Werner Schulz, München
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2024
Um die güterrechtliche Bewertung einer Anwalts- und Notariatspraxis zu ermöglichen, ist Auskunft auch über am Stichtag offene Forderungen zu erteilen. Die danach geschuldete Auskunft ist durch Vorlage einer Liste der am Stichtag offenen Forderungen (Aktennummer, Rechnungsdatum und Rechnungsbetrag) zu belegen.

BGB § 1379

Das Problem

Die güterrechtliche Bewertung von Anwalts- und Notarspraxen wird nach dem sog. modifizierten Ertragswertverfahren vorgenommen (BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, FamRB 2018, 131 [Hauß]; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch = FamRZ 2011, 705 m. Anm. Borth = FamRB 2011, 133 [Burschel]). Danach muss neben dem Substanzwert, der aus allen zu einer Praxis gehörenden Wirtschaftsgütern (Einrichtung, Arbeitsgeräte und Maschinen) auch Guthaben auf Bankkonten abzgl. der Praxisverbindlichkeiten (Nettosubstanzwert) besteht, auch der ideelle Wert (Goodwill) der Praxis berücksichtigt werden (BGH v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, FamRB 2018, 131 [Hauß]; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch = FamRZ 2011, 705 m. Anm. Borth = FamRB 2011, 133 [Burschel]). Diese Bewertungsmethode ist nicht unumstritten und Einzelheiten sind nicht immer klar ausdifferenziert. Daher ist in der Rechtsprechung auch nicht abschließend geklärt, ob am Stichtag offene Forderungen der Praxis dem Substanzwert der Praxis zuzurechnen sind.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OLG schließt sich der herrschenden Literaturmeinung an, dass über am Stichtag offene Honorar-Forderungen Auskunft zu erteilen sei, da diese als Teil des Substanzwerts im Rahmen des modifizierten Ertragswertverfahrens ein Bewertungskriterium darstellen können (Schulz/Hauß, Vermögensauseinandersetzung, 1. Kap. Rz. 320; Kohlenberg in Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Aufl., § 1376 BGB Rz. 66; Kogel, Strategien beim Zugewinnausgleich, 7. Aufl., Rz. 768).

Gegen die Einbeziehung offener Forderungen in die Auskunftsverpflichtung und Bewertung spreche nicht deren „Volatilität“. Ihre Realisierbarkeit und damit die Höhe ihrer Bilanzierung sei vom Sachverständigen individuell anhand der zu begutachtenden freiberuflichen Praxis zu beantworten.

Auch sei im Rahmen der Bewertungsmethode durch die Verminderung des Werts des Goodwills um den nach den individuellen Verhältnissen konkret gerechtfertigten Unternehmerlohn gewährleistet, dass es nicht zu einer Doppelverwertung der offenen Forderungen im Güter- und Unterhaltsrecht komme (BGH v. 6.2.2008 – XII ZR 45/06, FamRB 2008, 134 [Kogel]; BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, FamRZ 2011, 622 m. Anm. Koch = FamRZ 2011, 705 m. Anm. Borth = FamRB 2011, 133 [Burschel]).

Ein Verstoß gegen anwaltliche Verschwiegenheitspflicht sei im Rahmen der Auskunftsverpflichtung zu vermeiden, wenn nur Aktennummer, Rechnungsdatum und Forderungshöhe beauskunftet werden müsse. Die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 260 Abs. 2 BGB sei im Verdachtsfall ein zur wahrheitsgemäßen Auskunft anleitendes Druckmittel.

Entgegen einer in der Literatur vertretenen Meinung (Grandel/Stockmann, Stichwortkommentar Familienrecht, 3. Aufl., ABC der Vermögenswerte Rz. 60; Piltz, Partnerschaft und freiberufliche GbR im Zugewinnausgleich, ZEV 2007, 301; vgl. auch Boden/Cremer, Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht, 5. Aufl., § 19 Rz. 211) sei ein Notariat ausschließlich nach dem Sachwert zu bestimmen. Dazu zählten die Einrichtungsgegenstände, die IT-Ausstattung und auch die zum Stichtag bestehenden offenen Forderungen (Schulz/Hauß, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung, 7. Aufl., Rz. 64; vgl. auch Kogel, Strategien beim Zugewinnausgleich, 7. Aufl., Rz. 768). Einen darüber hinaus gehenden Praxiswert könne es dagegen nicht geben, weil der Notar Träger eines öffentlichen Amtes ist und kein Notariat besitze, das er als solches an einen Dritten veräußern könne.


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