OLG Karlsruhe, Beschl. 29.12.2020 - 5 UF 174/19
Nacheheliche Abfindungsvereinbarung zum schuldrechtlichen Versorgungsausgleich
Autor: VorsRiOLG Prof. Dr. Alexander Schwonberg, Celle
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 04/2021
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 04/2021
Eine Vereinbarung geschiedener Eheleute über eine Abfindungszahlung für dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vorbehaltene Anrechte ist formfrei möglich und berührt nicht den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts.
BGB § 138, § 242, § 313; VersAusglG § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1
Im November 2007 stellte die Antragstellerin selbst einen Antrag, den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich im Wege einer Abfindungszahlung durchzuführen, und wies darauf hin, dass der Antragsgegner neben einer gesetzlichen Rente als „zweites Standbein“ eine betriebliche Rentenzahlung erhalte, die ebenfalls auszugleichen sei. Auf Hinweis des AG, dass eine Ausgleichszahlung ausschließlich zur Beitragszahlung in der gesetzlichen oder privaten Altersversorgung verwendet werden dürfe (§ 1587l Abs. 3 BGB a.F., § 24 Abs. 2 VersAusglG), nahm die Antragstellerin ihren Antrag im Dezember 2007 zurück. Im Februar 2010 unterzeichnete sie eine Erklärung, in der sie „den Erhalt einer Versorgungsausgleichs-Abfindung“ von 30.000 € bestätigte, mit der „jegliche Forderungen von Versorgungsausgleichs-Zahlungen abgegolten“ seien. Den vom Antragsgegner gezahlten Betrag hat die Antragstellerin zur Rückzahlung ihres Darlehens verwandt.
Die Antragstellerin bezieht seit Mai 2015 eine Altersrente der Deutschen Rentenversicherung sowie aus einer früheren Beschäftigung eine Schweizer Altersrente von monatlich 98 CHF. Ein geringes Pensionsguthaben hatte sie sich 1989 bei Beendigung ihrer vorübergehenden Tätigkeit in der Schweiz auszahlen lassen. Dem Antragsgegner, der seit Januar 2008 eine Altersrente von der Schweizer AHV bezieht, wurde seine betriebliche Versorgung in Höhe eines Betrags von rund 296.600 CHF ausgezahlt.
Im vorliegenden, im Juni 2015 eingeleiteten Verfahren begehrt die Antragstellerin die Zahlung eines Betrags gem. § 22 VersAusglG aus dem betrieblichen Anrecht mit der Begründung, dass die Vereinbarung vom Februar 2010 nicht die „zweite Säule“ der Versorgung des Antragsgegners betreffe. Darüber hinaus hat sie die Vereinbarung wegen Irrtums angefochten. Das AG hat den Versorgungsausgleich nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Anrechten des Antragsgegners in der Weise durchgeführt, dass die Antragstellerin zur Zahlung einer schuldrechtlichen Ausgleichsrente an den Antragsgegner ab Juli 2015 und der Antragsgegner zur Zahlung einer solchen aus der Rente von der AHV sowie eines Ausgleichswerts von rund 42.340 € aus der von der betrieblichen Pensionskasse erhaltenen Kapitalleistung verpflichtet wurde. Dabei ist das AG davon ausgegangen, dass die Vereinbarung einer Inhalts- und Ausübungskontrolle nach § 8 VersAusglG nicht standhalte, da ein eklatantes Missverhältnis bestehe.
Darüber hinaus halte die Regelung auch einer Inhaltskontrolle, die nicht auf eine Halbteilungskontrolle gerichtet sei, stand. Bereits eine evident einseitige Lastenverteilung liege nicht vor, weil die Antragstellerin auf etwa den hälftigen Ausgleichsbetrag verzichtet habe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Beteiligten mit ihrer Vereinbarung im Jahr 2010 Ungewissheiten beseitigen wollten und für die Antragstellerin einen Zahlungsanspruch begründet haben, auf den sie nach § 22 Satz 2, § 20 Abs. 2 VersAusglG keinen Anspruch gehabt hätte, weil sie nach §§ 23, 24 VersAusglG nur eine zweckgebundene Abfindung hätte verlangen können.
Darüber hinaus seien Anhaltspunkte für eine subjektive Imparität nicht erkennbar, weil eine Zwangslage bei Abschluss der Vereinbarung nicht bestanden habe. Denn die Antragstellerin habe in der vorangegangenen Korrespondenz die Höhe der Abfindung selbst vorgeschlagen. Anhaltspunkte für eine soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit seien ebenfalls nicht erkennbar, zumal sich die Antragstellerin hätte anwaltlich beraten lassen können. Die Grundsätze der Altersversorgung in der Schweiz nach dem Drei-Säulen-System seien der Antragstellerin aus ihrer früheren beruflichen Tätigkeit in der Schweiz bekannt gewesen.
Die Grundsätze zur Ausübungskontrolle bzw. zum Wegfall der Geschäftsgrundlage kämen nicht zur Anwendung, weil es in Bezug auf die nacheheliche Vereinbarung an einer von der ursprünglichen Planung abweichenden Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse fehle.
BGB § 138, § 242, § 313; VersAusglG § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1
Das Problem
Die im August 1972 geschlossene Ehe der 1951 geborenen Antragstellerin und des 1942 geborenen Antragsgegners wurde im Dezember 1993 rechtskräftig geschieden. Da die Antragstellerin Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben hatte, der Antragsgegner jedoch höhere Anrechte in der Schweiz, hatte das AG festgestellt, dass ein öffentlich-rechtlicher Versorgungsausgleich nicht stattfindet und der Antragstellerin den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vorbehalten. Die im August 1994 geschlossene zweite Ehe der Antragstellerin wurde im Jahr 2002 geschieden. Die Antragstellerin erwarb in der Folge eine darlehensfinanzierte Eigentumswohnung.Im November 2007 stellte die Antragstellerin selbst einen Antrag, den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich im Wege einer Abfindungszahlung durchzuführen, und wies darauf hin, dass der Antragsgegner neben einer gesetzlichen Rente als „zweites Standbein“ eine betriebliche Rentenzahlung erhalte, die ebenfalls auszugleichen sei. Auf Hinweis des AG, dass eine Ausgleichszahlung ausschließlich zur Beitragszahlung in der gesetzlichen oder privaten Altersversorgung verwendet werden dürfe (§ 1587l Abs. 3 BGB a.F., § 24 Abs. 2 VersAusglG), nahm die Antragstellerin ihren Antrag im Dezember 2007 zurück. Im Februar 2010 unterzeichnete sie eine Erklärung, in der sie „den Erhalt einer Versorgungsausgleichs-Abfindung“ von 30.000 € bestätigte, mit der „jegliche Forderungen von Versorgungsausgleichs-Zahlungen abgegolten“ seien. Den vom Antragsgegner gezahlten Betrag hat die Antragstellerin zur Rückzahlung ihres Darlehens verwandt.
Die Antragstellerin bezieht seit Mai 2015 eine Altersrente der Deutschen Rentenversicherung sowie aus einer früheren Beschäftigung eine Schweizer Altersrente von monatlich 98 CHF. Ein geringes Pensionsguthaben hatte sie sich 1989 bei Beendigung ihrer vorübergehenden Tätigkeit in der Schweiz auszahlen lassen. Dem Antragsgegner, der seit Januar 2008 eine Altersrente von der Schweizer AHV bezieht, wurde seine betriebliche Versorgung in Höhe eines Betrags von rund 296.600 CHF ausgezahlt.
Im vorliegenden, im Juni 2015 eingeleiteten Verfahren begehrt die Antragstellerin die Zahlung eines Betrags gem. § 22 VersAusglG aus dem betrieblichen Anrecht mit der Begründung, dass die Vereinbarung vom Februar 2010 nicht die „zweite Säule“ der Versorgung des Antragsgegners betreffe. Darüber hinaus hat sie die Vereinbarung wegen Irrtums angefochten. Das AG hat den Versorgungsausgleich nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Anrechten des Antragsgegners in der Weise durchgeführt, dass die Antragstellerin zur Zahlung einer schuldrechtlichen Ausgleichsrente an den Antragsgegner ab Juli 2015 und der Antragsgegner zur Zahlung einer solchen aus der Rente von der AHV sowie eines Ausgleichswerts von rund 42.340 € aus der von der betrieblichen Pensionskasse erhaltenen Kapitalleistung verpflichtet wurde. Dabei ist das AG davon ausgegangen, dass die Vereinbarung einer Inhalts- und Ausübungskontrolle nach § 8 VersAusglG nicht standhalte, da ein eklatantes Missverhältnis bestehe.
Die Entscheidung des Gerichts
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg und führt zur Abweisung des Antrags der Antragstellerin. Ein Anspruch auf eine schuldrechtliche Ausgleichszahlung bezüglich der Anrechte des Antragsgegners bei der AHV und der Pensionskasse gem. §§ 20, 22 VersAusglG stehe der Antragstellerin nicht zu. Nach Rechtskraft der Ehescheidung könne eine Vereinbarung über den Wertausgleich bei Scheidung formlos geschlossen werden und bedürfe keiner notariellen Beurkundung nach § 7 Abs. 1 VersAusglG. Die Vereinbarung vom Februar 2010 halte auch einer Inhalts- und Ausübungskontrolle (§ 8 VersAusglG) stand. Zwar seien nach der Rechtsprechung des BGH Vereinbarungen in Eheverträgen und Scheidungsfolgenvereinbarungen über den Versorgungsausgleich nur begrenzt möglich, weil es sich um vorweggenommenen Altersunterhalt handele. Diese strengen Anforderungen seien jedoch nicht an eine, viele Jahre nach rechtskräftiger Ehescheidung getroffene Vereinbarung der Eheleute zu stellen. Vielmehr können Eheleute über die noch nicht ausgeglichenen und dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vorbehaltenen Anrechte formfrei disponieren. Nach der Begründung des Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs (BT-Drucks. 16/10144, 52) sei das eine Formvorschrift begründende besondere Schutzbedürfnis für die Zeit nach rechtskräftiger Ehescheidung nicht mehr gegeben, weil beide Ehegatten unabhängig von Trennung und Scheidung ausreichend Zeit hätten, die vertragliche Vereinbarung zu prüfen und sich ggf. beraten zu lassen. Der schuldrechtliche Versorgungsausgleich werde nur auf Antrag durchgeführt und falle damit in die Eigenverantwortung des früheren Ehegatten. Vor diesem Hintergrund werde eine nacheheliche Vereinbarung zum Versorgungsausgleich nicht von dem weitgehend zwingend geregelten Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts erfasst.Darüber hinaus halte die Regelung auch einer Inhaltskontrolle, die nicht auf eine Halbteilungskontrolle gerichtet sei, stand. Bereits eine evident einseitige Lastenverteilung liege nicht vor, weil die Antragstellerin auf etwa den hälftigen Ausgleichsbetrag verzichtet habe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Beteiligten mit ihrer Vereinbarung im Jahr 2010 Ungewissheiten beseitigen wollten und für die Antragstellerin einen Zahlungsanspruch begründet haben, auf den sie nach § 22 Satz 2, § 20 Abs. 2 VersAusglG keinen Anspruch gehabt hätte, weil sie nach §§ 23, 24 VersAusglG nur eine zweckgebundene Abfindung hätte verlangen können.
Darüber hinaus seien Anhaltspunkte für eine subjektive Imparität nicht erkennbar, weil eine Zwangslage bei Abschluss der Vereinbarung nicht bestanden habe. Denn die Antragstellerin habe in der vorangegangenen Korrespondenz die Höhe der Abfindung selbst vorgeschlagen. Anhaltspunkte für eine soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit seien ebenfalls nicht erkennbar, zumal sich die Antragstellerin hätte anwaltlich beraten lassen können. Die Grundsätze der Altersversorgung in der Schweiz nach dem Drei-Säulen-System seien der Antragstellerin aus ihrer früheren beruflichen Tätigkeit in der Schweiz bekannt gewesen.
Die Grundsätze zur Ausübungskontrolle bzw. zum Wegfall der Geschäftsgrundlage kämen nicht zur Anwendung, weil es in Bezug auf die nacheheliche Vereinbarung an einer von der ursprünglichen Planung abweichenden Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse fehle.