OLG Karlsruhe, Beschl. 6.9.2022 - 14 W 61/22 (Wx)
Keine Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung i.S.v. § 21 Abs. 2 TTDSG
Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2022
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2022
Die Verpflichtung des Betreibers einer Social Media-Plattform zur Auskunftserteilung gem. § 21 Abs. 2, Abs. 3 TTDSG bei einer Verletzung eines absolut geschützten Rechts des Antragstellers durch die Äußerung eines anonymen Nutzers der Plattform bedarf weder einer besonderen Schwere der Rechtsverletzung noch der konkreten Darlegung, auf welche Weise zivilrechtliche Ansprüche durchgesetzt werden sollen.
TTDSG § 21 Abs. 2, Abs. 3; NetzDG § 1 Abs. 3; StGB §§ 185, 186
Straftaterfordernis: Nach § 21 Abs. 2 TTDSG sei die Erfüllung eines Straftatbestands i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG, darunter §§ 185–187 StGB, erforderlich. Dazu müsse nur eine der angegriffenen Äußerungen den Tatbestand erfüllen (juris Rz. 18 f.; vgl. zu § 14 Abs. 3 TMG a.F. OLG Celle v. 23.9.2021 – 5 W 39/21 – Ex-Angestellte Rz. 24, CR 2022, 62).
Keine Darlegung der Durchsetzungsweise: Die Betroffene müsse nicht bereits im Auskunftsverfahren darlegen, welche zivilrechtlichen Hauptansprüche i.S.v. § 21 Abs. 2 TTDSG sie geltend machen wolle. Hier komme i.Ü. auch die außergerichtliche Durchsetzung oder ein Adhäsionsverfahren i.S.d. §§ 403 ff. StPO in Betracht (juris Rz. 19).
Kein Erfordernis besonderen Gewichts: Bei einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts als absolut geschützter Rechtsposition i.S.d. § 21 Abs. 2 Satz 1 TTDSG komme eine Geldentschädigung erst dann in Betracht, wenn ein so schwerwiegender Eingriff vorliege, dass auf Unterlassung bzw. Beseitigung zielende Rechtsbehelfe die Verletzungsfolgen nicht hinreichend ausgleichen könnten (vgl. BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12 – Sächsische Korruptionsaffäre Rz. 38, CR 2014, 312 = ITRB 2014, 102 [Vogt]). Hier kämen jedoch auch andere zivilrechtliche Ansprüche in Frage (juris Rz. 20).
Beweismaß: Auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit genüge die Glaubhaftmachung i.S.v. § 31 FamFG nur in Ausnahmefällen, etwa bei einstweiliger Anordnung. Im Auskunftsverfahren gem. § 21 TTDSG werde gem. § 37 FamFG die volle Überzeugung vorausgesetzt (juris Rz. 22).
Keine Anhörung des Nutzers: Dass der anonyme Nutzer im Verfahren nach § 21 Abs. 3 TTDSG nicht unmittelbar zur Sache gehört werde – was i.Ü. der Grund für die Geltung des FamFG und somit des Amtsermittlungsgrundsatzes sei –, sei vorliegend nicht von besonderem Gewicht, da die umfangreichen, durch die persönliche Sicht des Nutzers geprägten Stellungnahmen praktisch einer unmittelbaren Anhörung gleichkämen (juris Rz. 22).
Verletzung der persönlichen Ehre: Der objektive Tatbestand des § 185 StGB als Katalogtat des § 1 Abs. 3 NetzDG erfordere die Kundgabe einer Nicht‑, Gering- oder Missachtung i.S.e. Angriffs auf die Ehre eines anderen. Jedenfalls in der Formulierung „dunkler Parasit“ sei eine Beleidigung zum Nachteil der Betroffenen zu sehen. Der Begriff aus dem Pflanzen- und Tierreich sei geeignet, Ablehnung und Ekel hervorzurufen. Im Kontext einer zugespitzten Auseinandersetzung könne der Vorwurf „parasitären Verhaltens“ sachbezogen sein; hier jedoch sei die Bekundung der Nichtachtung der Betroffenen bezweckt (juris Rz. 26 f.).
Meinungsfreiheit: Die Annahme einer Beleidigung gem. § 185 StGB erfordere grundsätzlich – abgesehen von der ohne weiteres unzulässigen Schmähkritik – eine Abwägung von Meinungsfreiheit und persönlicher Ehre. Bei der Erfassung einer Äußerung sei auf das Verständnis eines verständigen Durchschnittspublikums abzustellen. Der Meinungsfreiheit könne ein umso höheres Gewicht beigemessen werden, je mehr es um öffentliche Meinungsbildung und umso weniger es lediglich um emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen gehe (juris Rz. 25).
Keine Machtkritik oder Spontanität: Wegen des Schutzbedürfnisses von Machtkritik seien die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern weiter zu ziehen als bei Privatpersonen, was jedoch vorliegend ausscheide. Es komme ferner darauf an, ob die Äußerung in einer hitzigen Situation oder mit längerem Vorbedacht gefallen sei, sowie auf Form und Umfang der Verbreitung (vgl. zu § 14 TMG a.F. BVerfG v. 19.12.2021 – BvR 1073/20 Rz. 31 ff., 36 f., CR 2022, 337). Hier liege keine spontane, sondern eine schriftlich zur Veröffentlichung vorbereitete Unmutsäußerung vor. Die Äußerung des Nutzers sei auf eine außergewöhnlich weite Verbreitung angelegt. Ein Recht auf Gegenschlag scheide aus, da hier der Geltungsanspruch ohne Sachbezug abgesprochen werde (juris Rz. 28).
Keine Wahrnehmung berechtigter Interessen: Auch für die Anwendung des § 193 StGB bedürfe es einer Abwägung im obigen Sinn. Soweit es darum gehe, dem eigenen Standpunkt Nachdruck zu verleihen, seien auch scharfe, polemische, übertreibende und verallgemeinernde Bezeichnungen des Gegners zulässig. Nicht gerechtfertigt sei es jedoch, wenn die Betroffene losgelöst vom konkreten Streit herabgesetzt werde (juris Rz. 30).
Vermutung fehlender Kenntnis: Fehlende Hinweise bei YouTube auf die Identität des Nutzers begründeten die Vermutung, dass ein Betroffener Namen und ladungsfähige Anschrift nicht kenne. Gegenteiliges sei nicht durch die Behauptung des Nutzers, dass er von der Betroffenen abgemahnt worden sei, belegt, zumal sie ausgeführt habe, dafür nur die unzureichenden Angaben aus dem Impressum verwendet zu haben (juris Rz. 31).
TTDSG § 21 Abs. 2, Abs. 3; NetzDG § 1 Abs. 3; StGB §§ 185, 186
Das Problem
Auf YouTube von Google Ireland Ltd. (kurz: Google) wurde unter pseudonymem Nutzernamen in einem Video eine Äußerung über eine Betroffene veröffentlicht. Aufgrund ihrer Beschwerde ist das Video nicht mehr abrufbar. Ihr Auskunftsersuchen gem. § 21 Abs. 2 und 3 TTDSG gegenüber Google stützt die Betroffene auf Beleidigung und üble Nachrede i.S.v. §§ 185, 186 StGB.Die Entscheidung des Gerichts
I.R.d. Entscheidung gem. §§ 21 Abs. 3 Satz 6 TTDSG, 83 Abs. 2 FamFG über die Kosten des Beschwerdeverfahrens (vgl. erstinstanzlich § 21 Abs. 3 Satz 7 TTDSG) nach Erledigungserklärung der Betroffenen wegen anderweitiger Informationserlangung sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass Google gem. § 21 Abs. 2 und 3 TTDSG zur Auskunft verpflichtet gewesen wäre (juris Rz. 14 f.).Straftaterfordernis: Nach § 21 Abs. 2 TTDSG sei die Erfüllung eines Straftatbestands i.S.v. § 1 Abs. 3 NetzDG, darunter §§ 185–187 StGB, erforderlich. Dazu müsse nur eine der angegriffenen Äußerungen den Tatbestand erfüllen (juris Rz. 18 f.; vgl. zu § 14 Abs. 3 TMG a.F. OLG Celle v. 23.9.2021 – 5 W 39/21 – Ex-Angestellte Rz. 24, CR 2022, 62).
Keine Darlegung der Durchsetzungsweise: Die Betroffene müsse nicht bereits im Auskunftsverfahren darlegen, welche zivilrechtlichen Hauptansprüche i.S.v. § 21 Abs. 2 TTDSG sie geltend machen wolle. Hier komme i.Ü. auch die außergerichtliche Durchsetzung oder ein Adhäsionsverfahren i.S.d. §§ 403 ff. StPO in Betracht (juris Rz. 19).
Kein Erfordernis besonderen Gewichts: Bei einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts als absolut geschützter Rechtsposition i.S.d. § 21 Abs. 2 Satz 1 TTDSG komme eine Geldentschädigung erst dann in Betracht, wenn ein so schwerwiegender Eingriff vorliege, dass auf Unterlassung bzw. Beseitigung zielende Rechtsbehelfe die Verletzungsfolgen nicht hinreichend ausgleichen könnten (vgl. BGH v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12 – Sächsische Korruptionsaffäre Rz. 38, CR 2014, 312 = ITRB 2014, 102 [Vogt]). Hier kämen jedoch auch andere zivilrechtliche Ansprüche in Frage (juris Rz. 20).
Beweismaß: Auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit genüge die Glaubhaftmachung i.S.v. § 31 FamFG nur in Ausnahmefällen, etwa bei einstweiliger Anordnung. Im Auskunftsverfahren gem. § 21 TTDSG werde gem. § 37 FamFG die volle Überzeugung vorausgesetzt (juris Rz. 22).
Keine Anhörung des Nutzers: Dass der anonyme Nutzer im Verfahren nach § 21 Abs. 3 TTDSG nicht unmittelbar zur Sache gehört werde – was i.Ü. der Grund für die Geltung des FamFG und somit des Amtsermittlungsgrundsatzes sei –, sei vorliegend nicht von besonderem Gewicht, da die umfangreichen, durch die persönliche Sicht des Nutzers geprägten Stellungnahmen praktisch einer unmittelbaren Anhörung gleichkämen (juris Rz. 22).
Verletzung der persönlichen Ehre: Der objektive Tatbestand des § 185 StGB als Katalogtat des § 1 Abs. 3 NetzDG erfordere die Kundgabe einer Nicht‑, Gering- oder Missachtung i.S.e. Angriffs auf die Ehre eines anderen. Jedenfalls in der Formulierung „dunkler Parasit“ sei eine Beleidigung zum Nachteil der Betroffenen zu sehen. Der Begriff aus dem Pflanzen- und Tierreich sei geeignet, Ablehnung und Ekel hervorzurufen. Im Kontext einer zugespitzten Auseinandersetzung könne der Vorwurf „parasitären Verhaltens“ sachbezogen sein; hier jedoch sei die Bekundung der Nichtachtung der Betroffenen bezweckt (juris Rz. 26 f.).
Meinungsfreiheit: Die Annahme einer Beleidigung gem. § 185 StGB erfordere grundsätzlich – abgesehen von der ohne weiteres unzulässigen Schmähkritik – eine Abwägung von Meinungsfreiheit und persönlicher Ehre. Bei der Erfassung einer Äußerung sei auf das Verständnis eines verständigen Durchschnittspublikums abzustellen. Der Meinungsfreiheit könne ein umso höheres Gewicht beigemessen werden, je mehr es um öffentliche Meinungsbildung und umso weniger es lediglich um emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen gehe (juris Rz. 25).
Keine Machtkritik oder Spontanität: Wegen des Schutzbedürfnisses von Machtkritik seien die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern weiter zu ziehen als bei Privatpersonen, was jedoch vorliegend ausscheide. Es komme ferner darauf an, ob die Äußerung in einer hitzigen Situation oder mit längerem Vorbedacht gefallen sei, sowie auf Form und Umfang der Verbreitung (vgl. zu § 14 TMG a.F. BVerfG v. 19.12.2021 – BvR 1073/20 Rz. 31 ff., 36 f., CR 2022, 337). Hier liege keine spontane, sondern eine schriftlich zur Veröffentlichung vorbereitete Unmutsäußerung vor. Die Äußerung des Nutzers sei auf eine außergewöhnlich weite Verbreitung angelegt. Ein Recht auf Gegenschlag scheide aus, da hier der Geltungsanspruch ohne Sachbezug abgesprochen werde (juris Rz. 28).
Keine Wahrnehmung berechtigter Interessen: Auch für die Anwendung des § 193 StGB bedürfe es einer Abwägung im obigen Sinn. Soweit es darum gehe, dem eigenen Standpunkt Nachdruck zu verleihen, seien auch scharfe, polemische, übertreibende und verallgemeinernde Bezeichnungen des Gegners zulässig. Nicht gerechtfertigt sei es jedoch, wenn die Betroffene losgelöst vom konkreten Streit herabgesetzt werde (juris Rz. 30).
Vermutung fehlender Kenntnis: Fehlende Hinweise bei YouTube auf die Identität des Nutzers begründeten die Vermutung, dass ein Betroffener Namen und ladungsfähige Anschrift nicht kenne. Gegenteiliges sei nicht durch die Behauptung des Nutzers, dass er von der Betroffenen abgemahnt worden sei, belegt, zumal sie ausgeführt habe, dafür nur die unzureichenden Angaben aus dem Impressum verwendet zu haben (juris Rz. 31).