OLG Koblenz, Beschl. 11.1.2023 - 13 UF 455/22
Kein Vorrang des Güterrechts gegenüber Gesamtschuldnerausgleich zwischen Ehegatten
Autor: RA i.R. Dr. Thomas Herr, FAFamR i.R., Kassel
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 04/2024
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 04/2024
1. Es besteht kein Vorrang des Güterrechts gegenüber einem Gesamtschuldnerausgleich zwischen Ehegatten. Denn bei richtiger Handhabung der güterrechtlichen Vorschriften vermag der Gesamtschuldnerausgleich das Ergebnis des Zugewinnausgleichs nicht zu verfälschen (Anschluss an BGH v. 21.7.2010 – XII ZR 104/08, FamRZ 2010, 1542 = NJW-RR 2010, 1513 Rz. 14 m.w.N. = FamRB 2010, 293 [Wever]).2. Ein Gesamtschuldnerausgleich zwischen Ehegatten scheidet regelmäßig aus, soweit der auf die Gesamtschuld leistende Ehegatte diesen Schuldendienst beim Ehegattenunterhalt unterhaltsrechtlich geltend macht.Gleiches kommt in Betracht, wenn der andere Ehegatte aufgrund der vom Unterhaltspflichtigen erbrachten Rückführung der Gesamtschuld von der Geltendmachung von Unterhalt absieht.
BGB § 426 Abs. 2, § 1361, § 1375, § 1378
Dieser wandte ein: Die Ehefrau habe vor der Trennung über das Konto illoyal verfügt und vom 28.6. bis 31.10.2019 10.740,79 € „ausschließlich für ihre eigenen Zwecke“ ausgegeben; dazu legte er eine Aufstellung vor, aus der sich die einzelnen Posten für Wohnung, Versicherungen, familiäre Lebenshaltungskosten, Taschengeld und übliche persönliche Bedürfnisse der Ehefrau ergaben. Er selbst habe nach der Trennung 9.200 € auf das Konto eingezahlt, und zwar mit der Zweckbestimmung von monatlich 500 € auf das eheliche Darlehen sowie 100 € für den Kontoausgleich. Damit rechne er hilfsweise auf. Ferner habe er gegen die Ehefrau in einem anderen Verfahren einen Zugewinnausgleich von 40.000 € geltend gemacht, womit er ebenfalls aufrechne.
Die Ehefrau verteidigte sich wie folgt: Der Vortrag zu den illoyalen Abhebungen sei neu und präkludiert. Auch seien diese Ausgaben nicht illoyal gewesen. Die 9.200 € seien sein Anteil am gesamtschuldnerischen Ehedarlehen. Zugewinnausgleichsansprüche seien mangels Scheidung noch nicht fällig. Auch habe sie Zahlungen des Ehemannes als Unterhalt angesehen.
Beide Ehegatten hatten nach der Trennung mit der kontoführenden Bank – die wohl auch die Darlehensgläubigerin war – vereinbart, dass der Ehemann auf das Oder-Konto monatlich 500 € auf das Darlehen zahle und zusätzlich 100 € zur Tilgung des Negativsaldos. Dazu wurde er danach von der Bevollmächtigten der Ehefrau noch zweimal aufgefordert.
Ferner hatte die Antragstellerin ein Unterhaltsverfahren anhängig gemacht. Außergerichtlich hatte der Ehemann ihr Angebot abgelehnt, keinen Trennungsunterhalt zu verlangen, soweit der Ehemann Zahlungen auf das Darlehen leiste und diesbezüglich auf einen Ausgleichsanspruch verzichte.
Illoyale Transaktionen der Ehefrau stellt das OLG nicht fest. Auch angemessene Ausgaben für eigene private Bedürfnisse zählten zur gemeinsamen Lebensführung inkl. nicht ungewöhnlich hoher Barauszahlungen.
Allerdings konnte das Gericht Einzahlungen des Ehemanns auf das Konto aus der Zeit nach der Trennung feststellen, und zwar i.H.v. in Summe 500 € für den Kontoausgleich und 3.500 € auf die Darlehensschuld. Beides hatte unterschiedliche Rechtsfolgen:
Die 500 € waren bereits Teil dessen, was die Ehefrau von ihm verlangte (Erfüllung, § 362 BGB).
Die 3.500 € zahlte er aufgrund seiner gesamtschuldnerischen Mithaftung im Außenverhältnis, aber im Alleininteresse der Ehefrau. Bis zur Trennung werden zwischen Ehegatten bestehende Gesamtschuldverhältnisse von der ehelichen Lebensgemeinschaft überlagert (Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 8. Aufl., Rz. 362 mit Hinweis auf BGH v. 30.11.1994 – XII ZR 59/93, FamRZ 1995, 216; BGH v. 13.1.1993 – XII ZR 212/90, FamRZ 1993, 676). Danach besteht keine Veranlassung mehr, das Vermögen des anderen – wie hier: durch Zahlungen an die Bank im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des anderen – zu mehren. Folglich hatte der Ehemann hieraus einen Ausgleichsanspruch von 3.500 €, mit dem er aufgerechnet hat. Dieser Anspruch wird nach absolut herrschender Auffassung nicht vom Zugewinnausgleich verdrängt. Das Güterrecht hat keinen Vorrang (BGH v. 26.10.2011_ XII ZB 465/11, FamRZ 2012, 24 = FamRB 2012, 10 [Bömelburg]; BGH v. 1.1.2012 – XII ZB 298/11, FamRZ 2012, 621; BGH v. 20.5.2015 – XII ZB 314/14, FamRZ 2015, 1272 = FamRB 2015, 328 [Burschel]; BGH v. 6.11.2019 – XII ZB 311/18, FamRZ 2020, 231 = FamRB 2020, 46 [Kogel]), so richtig das OLG. Auch ein Unterhaltsanspruch überlagert das Gesamtschuldverhältnis nicht. Die Entscheidung des OLG erfolgt hier jedoch eher aus tatsächlichen als aus rechtlichen Gesichtspunkten: Ein unterhaltsrechtlicher Vorwegabzug wurde nicht vereinbart und, dass der Ehemann ihn im Unterhaltsverfahren geltend gemacht habe, hat die Ehefrau nicht dargelegt.
Eine Präklusion lag aufgrund der besonderen familienrechtlichen Verfahrensvorschriften (Beschwerdeinstanz als volle zweite Tatsacheninstanz, § 65 Abs. 3, § 68 Abs. 3 Satz 1, § 115 Satz 2 FamFG) nicht vor.
Somit überstiegen bereits diese Ansprüche des Ehemanns gegen die Ehefrau deren Forderung um 4.000 € – 2.041 € = 1.959 € und es war seiner Beschwerde stattzugeben, ohne dass noch auf den zusätzlich zur Aufrechnung gestellten behaupteten Zugewinnausgleichsanspruch des Ehemanns eingegangen werden musste.
BGB § 426 Abs. 2, § 1361, § 1375, § 1378
Das Problem
Die Entscheidung handelt mustergültig einen Gesamtschuldnerausgleich zwischen Ehegatten nach deren Trennung ab. Die Ehegatten führten zum Zeitpunkt ihrer Trennung am 25.11.2019 ein Oder-Konto mit einem Negativsaldo von 4.082 €. Dieser war – bei Überweisung der beiderseitigen Einkünfte nach dort – durch Entnahmen für gemeinsame allgemeine Lebenshaltungskosten entstanden inkl. der Finanzierungsraten für das Familienheim i.H.v. 1.000 € monatlich, das im Alleineigentum der Ehefrau stand. Diese glich den Negativsaldo nach der Trennung – im Februar 2021 – aus und verlangte ohne Erfolg den Hälftebetrag als Gesamtschuldnerausgleich vom Ehemann.Dieser wandte ein: Die Ehefrau habe vor der Trennung über das Konto illoyal verfügt und vom 28.6. bis 31.10.2019 10.740,79 € „ausschließlich für ihre eigenen Zwecke“ ausgegeben; dazu legte er eine Aufstellung vor, aus der sich die einzelnen Posten für Wohnung, Versicherungen, familiäre Lebenshaltungskosten, Taschengeld und übliche persönliche Bedürfnisse der Ehefrau ergaben. Er selbst habe nach der Trennung 9.200 € auf das Konto eingezahlt, und zwar mit der Zweckbestimmung von monatlich 500 € auf das eheliche Darlehen sowie 100 € für den Kontoausgleich. Damit rechne er hilfsweise auf. Ferner habe er gegen die Ehefrau in einem anderen Verfahren einen Zugewinnausgleich von 40.000 € geltend gemacht, womit er ebenfalls aufrechne.
Die Ehefrau verteidigte sich wie folgt: Der Vortrag zu den illoyalen Abhebungen sei neu und präkludiert. Auch seien diese Ausgaben nicht illoyal gewesen. Die 9.200 € seien sein Anteil am gesamtschuldnerischen Ehedarlehen. Zugewinnausgleichsansprüche seien mangels Scheidung noch nicht fällig. Auch habe sie Zahlungen des Ehemannes als Unterhalt angesehen.
Beide Ehegatten hatten nach der Trennung mit der kontoführenden Bank – die wohl auch die Darlehensgläubigerin war – vereinbart, dass der Ehemann auf das Oder-Konto monatlich 500 € auf das Darlehen zahle und zusätzlich 100 € zur Tilgung des Negativsaldos. Dazu wurde er danach von der Bevollmächtigten der Ehefrau noch zweimal aufgefordert.
Ferner hatte die Antragstellerin ein Unterhaltsverfahren anhängig gemacht. Außergerichtlich hatte der Ehemann ihr Angebot abgelehnt, keinen Trennungsunterhalt zu verlangen, soweit der Ehemann Zahlungen auf das Darlehen leiste und diesbezüglich auf einen Ausgleichsanspruch verzichte.
Die Entscheidung des Gerichts
Das OLG weist den Antrag der Ehefrau – in Abänderung der Entscheidung des AG – ab. Zwar habe diese gegen den Ehemann einen Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 2 BGB i.H.v. 2.041 € (50 % des Negativsaldos am Trennungstag). Jedoch sei dieser teils durch Erfüllung, teils durch Aufrechnung des Ehemanns untergegangen, und hier liegt auch der Schwerpunkt der Entscheidung.Illoyale Transaktionen der Ehefrau stellt das OLG nicht fest. Auch angemessene Ausgaben für eigene private Bedürfnisse zählten zur gemeinsamen Lebensführung inkl. nicht ungewöhnlich hoher Barauszahlungen.
Allerdings konnte das Gericht Einzahlungen des Ehemanns auf das Konto aus der Zeit nach der Trennung feststellen, und zwar i.H.v. in Summe 500 € für den Kontoausgleich und 3.500 € auf die Darlehensschuld. Beides hatte unterschiedliche Rechtsfolgen:
Die 500 € waren bereits Teil dessen, was die Ehefrau von ihm verlangte (Erfüllung, § 362 BGB).
Die 3.500 € zahlte er aufgrund seiner gesamtschuldnerischen Mithaftung im Außenverhältnis, aber im Alleininteresse der Ehefrau. Bis zur Trennung werden zwischen Ehegatten bestehende Gesamtschuldverhältnisse von der ehelichen Lebensgemeinschaft überlagert (Wever, Vermögensauseinandersetzung der Ehegatten außerhalb des Güterrechts, 8. Aufl., Rz. 362 mit Hinweis auf BGH v. 30.11.1994 – XII ZR 59/93, FamRZ 1995, 216; BGH v. 13.1.1993 – XII ZR 212/90, FamRZ 1993, 676). Danach besteht keine Veranlassung mehr, das Vermögen des anderen – wie hier: durch Zahlungen an die Bank im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des anderen – zu mehren. Folglich hatte der Ehemann hieraus einen Ausgleichsanspruch von 3.500 €, mit dem er aufgerechnet hat. Dieser Anspruch wird nach absolut herrschender Auffassung nicht vom Zugewinnausgleich verdrängt. Das Güterrecht hat keinen Vorrang (BGH v. 26.10.2011_ XII ZB 465/11, FamRZ 2012, 24 = FamRB 2012, 10 [Bömelburg]; BGH v. 1.1.2012 – XII ZB 298/11, FamRZ 2012, 621; BGH v. 20.5.2015 – XII ZB 314/14, FamRZ 2015, 1272 = FamRB 2015, 328 [Burschel]; BGH v. 6.11.2019 – XII ZB 311/18, FamRZ 2020, 231 = FamRB 2020, 46 [Kogel]), so richtig das OLG. Auch ein Unterhaltsanspruch überlagert das Gesamtschuldverhältnis nicht. Die Entscheidung des OLG erfolgt hier jedoch eher aus tatsächlichen als aus rechtlichen Gesichtspunkten: Ein unterhaltsrechtlicher Vorwegabzug wurde nicht vereinbart und, dass der Ehemann ihn im Unterhaltsverfahren geltend gemacht habe, hat die Ehefrau nicht dargelegt.
Eine Präklusion lag aufgrund der besonderen familienrechtlichen Verfahrensvorschriften (Beschwerdeinstanz als volle zweite Tatsacheninstanz, § 65 Abs. 3, § 68 Abs. 3 Satz 1, § 115 Satz 2 FamFG) nicht vor.
Somit überstiegen bereits diese Ansprüche des Ehemanns gegen die Ehefrau deren Forderung um 4.000 € – 2.041 € = 1.959 € und es war seiner Beschwerde stattzugeben, ohne dass noch auf den zusätzlich zur Aufrechnung gestellten behaupteten Zugewinnausgleichsanspruch des Ehemanns eingegangen werden musste.