OLG Köln, Urt. 24.2.2023 - 6 U 137/22

Rechtsverletzung durch automatisiertes Einstellen eines Amazon-Angebots unter bestehender ASIN

Autor: RA, FAArbR Michael Wübbeke, LL.M. (Amsterdam), ENDEMANN.SCHMIDT Rechtsanwälte, Hamburg – www.es-law.de
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 05/2023
1. Das Einstellen eines Verkaufsangebotes auf der Plattform „Amazon“ unter einer bereits bestehenden „ASIN“ (Amazon Standard Identification Number) stellt keine täterschaftliche Urheberrechtsverletzung im Sinne einer öffentlichen Zugänglichmachung der in dem Angebot enthaltenen Lichtbilder i.S.v. § 19a UrhG dar, wenn sich die Lichtbilder nicht in der Zugriffssphäre des Verkäufers befinden.2. Die automatisierte Einstellung der Verkaufsangebote unter einer bereits bestehenden ASIN kann sich aber als Verletzung eines unbenannten Rechts zur öffentlichen Wiedergabe i.S.d. § 15 Abs. 2 UrhG hinsichtlich der im Angebot angezeigten Lichtbilder darstellen.

RL 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1; UrhG §§ 15 Abs. 2, 19a, 97 Abs. 1

Das Problem

Amazon verwaltet die auf der Plattform angebotenen Produkte über die Vergabe von ASIN (Amazon Standard Identification Numbers). Hierzu werden die Produktinformationen, insb. auch die Bilder, beim erstmaligen Verkauf eines Produkts auf amazon.de von dem jeweiligen Verkäufer eingepflegt. Der nächste Verkäufer verknüpft sein Angebot durch die Angabe der ASIN mit der vorhandenen Produktseite. Das Anlegen einer neuen Produktseite für ein bereits mittels ASIN registriertes Produkt ist den Nutzern nicht gestattet. Änderungen der Produktbeschreibung oder der Bilder kann nur der Erstverkäufer vornehmen.

Eine Großhändlerin mit Schwerpunkt auf dem Verkauf gebrauchter Bücher nutzt für die Angebotserstellung die Möglichkeit der Massenauflistung. Diese Funktion ermöglicht eine automatisierte Generierung der Produktinformationen und Produktangebote. Die Händlerin verkaufte dort im Juni 2021 einen Bildband. Sie hatte das entsprechende Angebot zuvor durch Angabe einer ASIN mit der bereits vorhandenen Produktseite verknüpft. Auf dieser Produktseite wurde das Buch mit Ablichtungen beworben, ohne dass die Herausgeber amazon.de oder der Plattform Amazon Marketplace Nutzungsrechte daran eingeräumt hatten.

Im Juli 2021 ließ die (Mit-)Herausgeberin des Bildbands die Händlerin abmahnen und verklagte sie schließlich vor dem LG Köln auf Unterlassung und Schadensersatz. Das LG Köln hat der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OLG Köln wies die Berufung der Händlerin als unbegründet zurück, indem es den erstinstanzlichen Tenor zu Ziff. 1, in dem es hieß „ohne Einwilligung der Klägerin der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, durch „ohne Einwilligung der Klägerin öffentlich wiederzugeben“ ersetzte. Der Herausgeberin stehe sowohl ein Unterlassungsanspruch wegen der Nutzung der zusätzlichen Lichtbilder als auch ein hierauf beruhender Schadensersatzanspruch zu.

Kein (mit-)täterschaftliches öffentliches Zugänglichmachen: Entgegen der Entscheidung des LG Köln habe die Händlerin das Werk der Herausgeberin durch die Anzeige der Ablichtung des Bildbands im Zusammenhang mit ihrem Angebot nicht i.S.d. § 19a UrhG öffentlich zugänglich gemacht. Der Tatbestand des öffentlichen Zugänglichmachens sei zunächst nicht täterschaftlich erfüllt. Es entspreche der gefestigten Rspr. des BGH, dass sich das urheberrechtlich geschützte Werk in der Zugriffssphäre des Vorhaltenden befinden müsse, um eine Verletzung von § 19a UrhG zu begründen (so etwa BGH v. 16.5.2013 – I ZR 46/12 – Die Realität I, GRUR 2013, 818, 819 Rz. 8 m.w.N. = AfP 2013, 330 = CR 2013, 455). Dies sei in der hiesigen Fallgestaltung nicht der Fall. Schließlich habe die Händlerin keinen Einfluss darauf gehabt, welche Bilder mit der von ihr zu verwendenden ASIN verknüpft werden würden. Überdies habe die Händlerin die Ablichtungen selbst auch nicht etwa auf einem eigenen Server abgespeichert. In der Gesamtschau habe daher keine eigene Zugriffssphäre der Händlerin bestanden. Auch eine mittäterschaftliche Begehung durch das Anhängen an die vorhandene Produktseite sei nicht gegeben. Ein bloßes Zueigenmachen reiche nach der Rechtsprechung des BGH gerade nicht aus, um eine öffentliche Zugänglichmachung anzunehmen (BGH v. 16.5.2013 – I ZR 46/12 – Die Realität I, GRUR 2013, 818, 819 Rz. 8 m.w.N. = AfP 2013, 330 = CR 2013, 455). I.Ü. setze Mittäterschaft auch ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken mit einem Dritten, bei einer Urheberrechtsverletzung daher eine Kenntnis von konkret drohenden Rechtsverletzungen, voraus (vgl. BGH v. 21.9.2017 – I ZR 11/16 – Vorschaubilder III, GRUR 2018, 178, 181 Rz. 21 = CR 2018, 316). Da die Händlerin keine Überprüfung der unter der jeweiligen ASIN hinterlegten Bilder vorgenommen habe, habe sie jedoch keine Kenntnis gehabt. Dass sie grundsätzlich gewusst habe, dass es im Zusammenhang mit den Produktseiten gelegentlich zu Urheberrechtsverletzungen kommen könnte, reiche nicht aus, um eine Kenntnis von einer urheberrechtswidrigen Anzeige gerade der konkret in Rede stehenden Ablichtungen zu begründen.

Keine Beihilfe: Auch eine Beihilfe zu einer etwaigen Verletzung des § 19a UrhG durch amazon.de als Betreiberin der Plattform bzw. die Betreiberin des Amazon Marketplaces komme nicht in Betracht. Denn auch für eine Beihilfe bedürfe es eines Vorsatzes zur Förderung der Haupttat. Angesichts der Automatisierung der Angebotseinstellung fehle es hieran.

Verletzung eines unbenannten Rechts zur öffentlichen Wiedergabe i.S.d. § 15 Abs. 2 UrhG: Die Händlerin habe allerdings durch das Einstellen ihres Angebots ein unbenanntes Recht der Mitherausgeberin zur öffentlichen Wiedergabe nach § 15 Abs. 2 UrhG verletzt. Die in § 15 Abs. 2 UrhG ausdrücklich benannten Rechte seien nicht als abschließende Aufzählung zu verstehen und ließen die Anerkennung weiterer unbenannter Verwertungsrechte der öffentlichen Wiedergabe zu (BGH v. 21.9.2017 – I ZR 11/16 – Vorschaubilder III, GRUR 2018, 178, 181 Rz. 23 = CR 2018, 316). Bei der Frage, wann ein unbenanntes Recht zur öffentlichen Wiedergabe verletzt sei, sei die Richtline 2001/29/EG heranzuziehen (vgl. BGH v. 21.9.2017 – I ZR 11/16 – Vorschaubilder III, GRUR 2018, 178, 181 Rz. 24 = CR 2018, 316). Gemäß Art. 3 Abs. 1 RL 2001/29/EG habe die Händlerin ein unbenanntes Recht zur öffentlichen Wiedergabe verletzt, als sie das Angebot des Buchs auf amazon.de unter der dort bereits hinterlegten ASIN eingestellt und damit eine Verknüpfung mit den Produktfotos bewirkt habe. Der Begriff der Wiedergabe sei weit zu verstehen. Darunter falle jede Übertragung eines geschützten Werks, bei der Dritten in Kenntnis der Folgen des Verhaltens ein Zugang zum geschützten Werk verschafft werde. Auf eine tatsächliche Nutzung des Zugangs komme es nicht an. An diesem Maßstab gemessen habe die Händlerin das Werk der Mitherausgeberin wiedergegeben. Auf eine konkrete Kenntnis von den zugänglich gemachten Werken komme es im Zusammenhang mit § 15a UrhG nicht an.

Überprüfungspflicht des Nutzers: Um der Haftung wegen der Verletzung eines unbenannten Rechtes zur öffentlichen Wiedergabe zu entgehen, hätte es der Händlerin oblegen, zu überprüfen, welche Lichtbilder mit der ASIN verknüpft gewesen seien. Auch der Umstand, dass kein Copyrightvermerk auf den Bildern angebracht gewesen sei, entbinde nicht von dieser Verpflichtung. Zwar sei zu berücksichtigen, dass der BGH – auch dann, wenn Nutzer wie die Händlerin in Gewinnerzielungsabsicht tätig würden – eine individuelle Beurteilung der Kontrollpflichten fordere (vgl. BGH v. 21.9.2017 – I ZR 11/16 – Vorschaubilder III, GRUR 2018, 178, 181 Rz. 60 ff. = CR 2018, 316). Es könne aber nicht zu Lasten der Rechteinhaber gehen, dass eine Prüfpflicht u.U. das Geschäftsmodells eines Händlers, das auf einer Automatisierung der Prozesse beruhe, gefährde. Jedenfalls einem größeren Unternehmen sei es zuzumuten, eine Rechterecherche durchzuführen oder alternativ die finanziellen Haftungsrisiken einzukalkulieren. Ergebe eine Überprüfung eine Rechtsverletzung, sei es nicht entscheidend, ob der Händler selbst zu einer Entfernung des Werkes in der Lage sei. Denn jedenfalls einem Unternehmen von der Größe der Händlerin sei es eher als der Rechteinhaberin zuzumuten, die außerhalb Deutschlands ansässige Betreiberin in Anspruch zu nehmen.


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