OLG Köln, Urt. 4.7.2024 - 15 U 60/23

DSGVO-Passivlegitimation eines Suchmaschinenbetreibers ohne Datenherrschaft

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 09/2024
Der Betreiber einer Internetsuchmaschine ist bzgl. der angezeigten Suchergebnisse auch dann Verantwortlicher i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO, wenn er den Nutzern lediglich den Zugang zu der Suchmaschine anbietet und die von einer anderen Konzerngesellschaft aufbereiteten Suchergebnisse nur anzeigt.

DSGVO Art. 4 Nr. 7, Art. 17

Das Problem

Ein ehemaliger Kreisverbandsvorstand einer politischen Partei wendet sich gegen die Listung eines auf zwei Internetseiten publizierten kritischen Artikels von 2019 in den Suchergebnissen von Google. Der Artikel enthielt personenbezogene Daten des Politikers sowie ein von seiner Ehefrau aufgenommenes Bild, das ihn in Uniform mit einem bestimmten militärischen Patch zeigt. Der Politiker verklagt Google Ireland Ltd. und nicht die US-amerikanische Muttergesellschaft Google LLC.

Die Entscheidung des Gerichts

Dem Politiker stünden gegen Google Ireland Unterlassungsansprüche aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO und § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG zu.

Datenschutzrechtlicher Unterlassungsanspruch: Bei Auslistungsverlangen umfasse das Recht auf Löschung auch das Begehren, eine erneute Listung zu unterlassen (BGH v. 26.9.2023 – VI ZR 97/22 – Bewerbungsprozess Rz. 20 m.w.N., CR 2024, 110 = ITRB 2023, 307 [Rössel]; anhängig EuGH – C-655/23 – Quirin Privatbank). Die Haftung von Google Ireland sei nicht subsidiär gegenüber der der Inhalteanbieter (Rz. 19 f. m.w.N.).

Auslistungsantrag: Der für das Auslistungsbegehren erforderliche Antrag sei jedenfalls in der Klageschrift zu sehen, in der hinreichend deutlich auf die angenommene Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung hingewiesen worden sei (vgl. BGH v. 23.5.2023 – VI ZR 476/18 – Recht auf Vergessenwerden II Rz. 29 m.w.N., CR 2023, 596 = ITRB 2023, 228 [Rössel]). Für den Unterlassungsanspruch komme es nur darauf an, dass der Antrag geeignet sei, zukünftig eine datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit von Google Ireland zu begründen. Der streitgegenständliche Artikel enthalte personenbezogene Daten des Politikers i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO (Rz. 21 f.).

Verantwortlicher: Verantwortlicher sei nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheide. Durch die weite Definition solle ein wirksamer und umfassender Schutz des Betroffenen gewährleistet werden (EuGH v. 11.1.2024 – C-231/22 – Datenverarbeitung durch ein Amtsblatt Rz. 28, ZD 2024, 274). Die Tätigkeit einer Suchmaschine sei bei Betroffenheit personenbezogener Daten als Verarbeitung i.S.v. Art. 4 Nr. 1 und 2 DSGVO einzustufen und der Betreiber als Verantwortlicher i.S.v. Art. 4 Nr. 7 DSGVO. Vorliegend sei Google Ireland EU-weit Betreiberin (Rz. 23 f. m.w.N.).

Ausreichendes Zugangsangebot: Dass Google Ireland lediglich den Zugang zu der Suchmaschine anbiete, während allein Google LLC entscheide, wie auf eine Suchanfrage reagiert werde und wie die relevanten Suchergebnisse angezeigt würden, sei unerheblich (a.A. etwa LG Rostock v. 24.5.2023 – 3 O 95/22). Denn bereits die Anzeige personenbezogener Daten auf einer Ergebnisseite stelle eine Verarbeitung dieser Daten dar, so dass Google Ireland schon durch das Zugangsangebot zum Verarbeiter werde (EuGH v. 13.5.2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317 – Google Spain Rz. 28, 57, CR 2014, 460 = ITRB 2014, 15 [Rössel]). Dafür müssten die Inhalte der gelisteten Internetseiten nicht zu eigen gemacht werden. Unerheblich sei, dass Google LLC als Datenverantwortliche unter google.com benannt werde. Denn Google Ireland könne sich nicht durch eine Datenschutzerklärung von ihrer aus den tatsächlichen Umständen folgenden Verantwortlichkeit befreien (Rz. 25 f.).

Mehrheit von Verantwortlichen: Soweit eine Verantwortlichkeit von Google Ireland allein deshalb verneint werde (so KG v. 4.2.2022 – 10 W 1024/20), weil höchstrichterlich eine Verantwortlichkeit i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO von Google LLC festgestellt worden sei (BGH v. 27.7.2020 – VI ZR 405/18, ECLI:DE:BGH:2020:270720UVIZR405.18.0 – Auslistung Rz. 13, CR 2020, 804), überzeuge dies nicht. Denn eine Verantwortlichkeit von Google LLC schließe die gleichzeitige Verantwortlichkeit von Google Ireland nicht aus, wie sich auch aus Art. 26 DSGVO ergebe (Rz. 27; vgl. LG München v. 22.3.2023 – 26 O 1037/21 Rz. 29, MMR 2023, 602; LG Heidelberg v. 31.3.2023 – 6 S 1/22 Rz. 32).

Rechtswidrige Verarbeitung: Die personenbezogenen Daten des Politikers würden unrechtmäßig verarbeitet (Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO) und die Verarbeitung sei nicht erforderlich zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information (Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO). Die gebotene Gesamtabwägung der Grundrechte aus Art. 7, 8 GRC sowie andererseits aus Art. 11, 16 GRC gehe zugunsten des Politikers aus. Denn der Artikel enthalte zumindest eine für das Gesamtverständnis des Artikels bedeutsame, aber unwahre Information (Rz. 28 m.w.N.; BGH v. 27.7.2020 – VI ZR 476/18, ECLI:DE:BGH:2020:270720VIZR476.18.0 – Recht auf Vergessenwerden II Rz. 24, CR 2023, 596 = ITRB 2023, 228 [Rössel] = GRUR 2020, 1338).

Nachweis offensichtlicher Unrichtigkeit: Dem Anspruchsteller obliege der Nachweis, dass zumindest ein für den gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil offensichtlich unrichtig sei. Zur Vermeidung der Gefahr einer Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit des Auslistungsrechts durch eine übermäßige Belastung seien lediglich Nachweise offensichtlicher Unrichtigkeit beizubringen, die unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände vernünftigerweise verlangt werden könnten (Rz. 29 m.w.N.).

Keine aktive Mitwirkungspflicht: Der Suchmaschinenbetreiber sei i.R.d. Prüfung von Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO nicht verpflichtet, bei der Suche nach den Auslistungsantrag stützenden Tatsachen durch Sachverhaltsermittlung oder kontradiktorischen Schriftwechsel mit den Beteiligten aktiv mitzuwirken. Folglich sei er bei der Vorlage relevanter und hinreichender Nachweise offensichtlicher Unrichtigkeit eines zumindest nicht unbedeutenden Teils der Informationen zur Stattgabe des Auslistungsantrags verpflichtet (Rz. 30 f. m.w.N.).

Meinungs- und Informationsfreiheit: Wenn die fraglichen Informationen zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitragen könnten, sei unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit besonders zu berücksichtigen. Zudem wäre eine zur Erschwerung des Zugangs zur Gesamtheit der Artikel im Internet führende Auslistung auch dann unverhältnismäßig, wenn sich nur bestimmte Informationen von untergeordneter Bedeutung für den Gesamtinhalt der Artikel als unrichtig erwiesen (Rz. 32; vgl. EuGH v. 8.12.2022 – C-460/20, ECLI:EU:C:2022:962 – Auslistung angeblich unrichtiger Inhalte Rz. 73 f., CR 2023, 52 = ITRB 2023, 61 [Kartheuser]).

Nachweis: Der Politiker habe aufgezeigt, dass die Behauptung des Artikels offensichtlich unwahr sei, dass das abgebildete, von dem Politiker auf seinem Blog gepostete Bild ihn in Uniform mit einem Patch des Vereinszeichens eines Militaristenverbands zeige. Stattdessen sei mit vorgelegten Fotos nachgewiesen worden, dass es sich tatsächlich um ein Abzeichen einer Logistikschule der Bundeswehr handele. Das sei auch für Google Ireland bei zumutbarer Vergrößerung hinreichend erkennbar gewesen (Rz. 34).

Keine Wertneutralität der Falschbehauptung: Zwar bestreite der Politiker nicht, dem Militaristenverband anzugehören. Jedoch ziele der falsche Vorwurf schwerwiegender darauf ab, sich bei Ausübung seines Diensts durch Tragen einer Uniform öffentlich als Verbandsmitglied zu erkennen gegeben zu haben (Rz. 35).

Kein unbedeutender Artikelteil: Obgleich der Artikel eine Vielzahl weiterer Informationen enthalte und der Betroffene nicht der einzige vorgestellte Politiker sei, sei seine Vorstellung für den Gesamtinhalt zumindest ebenso bedeutend wie die der anderen Personen, zumal die den Politiker betreffenden Ausführungen an zweiter Stelle stünden und außer ihm nur noch zwei weitere Politiker auch im Bild gezeigt würden. Außerdem verlange der Politiker eine Auslistung nur, soweit Nutzer bei der Suche seinen Nachnamen verwendeten, so dass für sie typischerweise die Vorstellung des Politikers von besonderer Bedeutung sein werde. Schließlich sei die Falschbehauptung auch im Verhältnis zu den anderen, den Politiker betreffenden Aussagen nicht nur von untergeordneter Bedeutung (Rz. 36).

Unzumutbare unmittelbarere Inanspruchnahme: Für den Einwand der zumutbaren Inanspruchnahme der für den Artikel unmittelbar Verantwortlichen sei Google Ireland darlegungs- und beweisbelastet (vgl. BGH v. 3.5.2022 – VI ZR 832/20 – Artikel in Magazin „M“ Rz. 56, AfP 2022, 341). Dass die handelnden Personen der hinter den beiden fraglichen Internetseiten stehenden Antifaschistische Aktion nicht greifbar und die Registrare der beiden Domains im Ausland ansässig seien, sei nicht widerlegt worden (Rz. 37).

Weitere Eingrenzung der Namenssuche: Dem Auslistungsbegehren stehe nicht entgegen, dass dem Auslistungsantrag zufolge der Artikel nicht schon bei bloßer Eingabe des Politikernamens (vgl. dazu EuGH v. 13.5.2014 – C-131/12, ECLI:EU:C:2014:317 – Google Spain Rz. 80, CR 2014, 460 = ITRB 2014, 15 [Rössel]), sondern nur bei zusätzlicher Eingabe weiterer wiedergegebener Suchbegriffe nicht angezeigt werden solle. „Allein auf Grund der Eingabe der weiteren Suchbegriffe [kann] nicht [sic!] davon ausgegangen werden [...], dass der jeweilige Nutzer den rechtswidrigen Drittinhalt bereits kennt und gezielt nach ihm sucht“ (Rz. 38).

Urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch: Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch folge auch aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG. Nach Übertragung ihrer Rechte als Lichtbildnerin aus § 72 Abs. 1 UrhG von der Ehefrau auf den Politiker sei er aktiv legitimiert (Rz. 40 f.).

Bewusste Rechtsverletzung: Dadurch, dass Google Ireland Nutzern Hyperlinks auf die beiden streitgegenständlichen Internetseiten anzeige, verletze sie das Recht zur öffentlichen Wiedergabe des Lichtbildes gem. § 15 Abs. 2 UrhG. Denn die Bereitstellung eines Hyperlinks sei dann als öffentliche Wiedergabe anzusehen, wenn der Betreffende zumindest etwa durch einen Hinweis des Urheberrechtsinhabers von der unbefugten Veröffentlichung im Internet hätte wissen müssen (vgl. BGH v. 21.9.2017 – I ZR 11/16, ECLI:DE:BGH:2017:210917UIZR11.16.0 – Vorschaubilder III Rz. 55, 67, CR 2018, 316 = ITRB 2018, 52 [Rössel]). Dieser Hinweis auch zur Rechteübertragung sei mit vorgerichtlichen Abmahnungen und Klagevortrag erfolgt (Rz. 42 f.).

Kein Zitatrecht und keine Tagesberichterstattung: Die öffentliche Wiedergabe des Fotos sei – wovon sich Google Ireland ohne eingehende rechtliche Prüfung habe überzeugen können (vgl. EuGH v. 22.6.2021 – C-682/18, ECLI:EU:C:2021:503 – YouTube und Cyando u.a. Rz. 116, CR 2021, 540 = ITRB 2021, 175 [Rössel]) – auch nicht nach § 51 Satz 1 UrhG zulässig. Nach dieser Vorschrift sei die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werks für ein Zitat zulässig, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt sei. Dies scheide bei einem Beleg für eine Falschbehauptung aus. Entsprechendes gelte für § 50 UrhG (Rz. 44 f.; vgl. BGH v. 30.4.2020 – I ZR 228/15, ECLI:DE:BGH:2020:300420UIZR228.15.0 – Reformistischer Aufbruch II Rz. 48, AfP 2020, 320).


Wussten Sie schon?

Werden Sie jetzt Teilnehmer beim Anwalt-Suchservice und Sie greifen jederzeit online auf die Zeitschrift „IT-Rechtsberater“ des renommierten juristischen Fachverlags Dr. Otto Schmidt, Köln, zu.

Die Zeitschrift ist speziell auf Praktiker zugeschnitten. Sie lesen aktuelle Urteilsbesprechungen inklusive speziellem Beraterhinweis sowie Fachaufsätze und Kurzbeiträge zum Thema IT-Recht und zwar 24/7, also wo und wann immer Sie wollen.

Infos zur Teilnahme