OLG München, Beschl. 27.8.2017 - 18 W 1294/18
Facebook darf den Kommentar einer Nutzerin nicht löschen und diese nicht sperren
Autor: Rechtsanwalt Lennart-Christian Levenson Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht IRLE MOSER Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 11/2018
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 11/2018
Facebook hat kein „virtuelles Hausrecht”, Kommentare nach Belieben zu entfernen und Nutzer zu sperren, sondern muss die Meinungsäußerungsfreiheit seiner Nutzer und damit die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten im Social-Media-Nutzungsvertrag beachten.
OLG München, Beschl. v. 27.8.2017 - 18 W 1294/18
Vorinstanz: LG München II, Beschl. v. 14.8.2018 - 11 O 3129/18
GG Art. 5 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2; NetzDG § 1 Abs. 3
„... Gar sehr verzwickt ist diese Welt, mich wundert’s daß sie wem gefällt. Wilhelm Busch (1832 – 1908)
Wusste bereits Wilhelm Busch 1832 zu sagen:-D Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen. Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir.”
Facebook löschte diese Äußerung mit Verweis auf die Facebook-Gemeinschaftsstandards und sperrte die Politikerin für 30 Tage, so dass sie keine weiteren Posts mehr abgeben konnte. Facebook stützt sich dabei auf seine Geschäftsbedingungen, wonach das Recht vorbehalten wird, Kommentare zu löschen, wenn Facebook der Ansicht ist, dass diese gegen die eigenen Richtlinien verstoßen. Die Politikerin beantragte eine einstweilige Verfügung gegen die Löschung der streitgegenständlichen Äußerung und Sperrung, die das LG jedoch zurückwies. Hiergegen wandte sich die Politikerin mit der sofortigen Beschwerde.
Die Politikerin habe einen Anspruch auf Unterlassung der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung und der hierauf gestützten Sperrung aus dem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag sui generis über die Nutzung einer Social-Media-Plattform i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB. Der Unterlassungsanspruch sei aus dem vertraglichen Erfüllungsanspruch abzuleiten. Mit der Löschung und der darauffolgenden Sperrung habe Facebook seine Vertragspflichten verletzt, denn Facebook sei verpflichtet, auf die Rechte aller Nutzer Rücksicht zu nehmen, insbesondere auf das Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Die hier streitgegenständliche Äußerung der Politikerin sei offensichtlich keine „Hassbotschaft” und demnach als Meinungsäußerung zulässig.
Das einseitige Bestimmungsrecht Facebooks, Inhalte zu löschen, sei unwirksam, weil eine solche Klausel die Nutzer als Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dieses einseitige Bestimmungsrecht stünde im Widerspruch dazu, dass der Vertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber gem. § 241 Abs. 2 BGB seinem Inhalt nach beide Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Für den Inhalt und die Reichweite der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme sei von entscheidender Bedeutung, dass die bereitgestellte Social-Media-Plattform dem Zweck diene, den Nutzern einen „öffentlichen Marktplatz” für Informationen und Meinungsaustausch zu verschaffen. Im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts des Nutzers auf Meinungsfreiheit, müsse deshalb gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt wird. Es sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, wenn Facebook, gestützt auf ein „virtuelles Hausrecht”, den Beitrag eines Nutzers auch dann löschen darf, wenn die Äußerung die Grenzen einer zulässigen Meinungsäußerung nicht überschreitet.
OLG München, Beschl. v. 27.8.2017 - 18 W 1294/18
Vorinstanz: LG München II, Beschl. v. 14.8.2018 - 11 O 3129/18
GG Art. 5 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2; NetzDG § 1 Abs. 3
Das Problem
Facebook und eine bayerische AfD-Politikerin streiten um die Zulässigkeit einer Äußerung und Sperrung der Kommentarfunktion infolge eines Posts. Hintergrund war eine im August 2018 auf der Facebook-Seite von „Spiegel-Online” öffentlich geführte Debatte mehrerer Nutzer um einen Bericht über österreichische Grenzkontrollen. Die an dieser Diskussion beteiligte AfD-Politikerin wurde hierbei von einer Nutzerin als „Nazischlampe” bezeichnet. Daraufhin entgegnete die Politikerin gegenüber einer anderen Nutzerin, die diese Äußerung mit einem „Gefällt mir”/„Like” unterstützte, mit folgendem Kommentar:„... Gar sehr verzwickt ist diese Welt, mich wundert’s daß sie wem gefällt. Wilhelm Busch (1832 – 1908)
Wusste bereits Wilhelm Busch 1832 zu sagen:-D Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen. Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir.”
Facebook löschte diese Äußerung mit Verweis auf die Facebook-Gemeinschaftsstandards und sperrte die Politikerin für 30 Tage, so dass sie keine weiteren Posts mehr abgeben konnte. Facebook stützt sich dabei auf seine Geschäftsbedingungen, wonach das Recht vorbehalten wird, Kommentare zu löschen, wenn Facebook der Ansicht ist, dass diese gegen die eigenen Richtlinien verstoßen. Die Politikerin beantragte eine einstweilige Verfügung gegen die Löschung der streitgegenständlichen Äußerung und Sperrung, die das LG jedoch zurückwies. Hiergegen wandte sich die Politikerin mit der sofortigen Beschwerde.
Die Entscheidung des Gerichts
Das OLG half der sofortigen Beschwerde ab und erließ die begehrte einstweilige Verfügung.Die Politikerin habe einen Anspruch auf Unterlassung der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung und der hierauf gestützten Sperrung aus dem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag sui generis über die Nutzung einer Social-Media-Plattform i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB. Der Unterlassungsanspruch sei aus dem vertraglichen Erfüllungsanspruch abzuleiten. Mit der Löschung und der darauffolgenden Sperrung habe Facebook seine Vertragspflichten verletzt, denn Facebook sei verpflichtet, auf die Rechte aller Nutzer Rücksicht zu nehmen, insbesondere auf das Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Die hier streitgegenständliche Äußerung der Politikerin sei offensichtlich keine „Hassbotschaft” und demnach als Meinungsäußerung zulässig.
Das einseitige Bestimmungsrecht Facebooks, Inhalte zu löschen, sei unwirksam, weil eine solche Klausel die Nutzer als Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dieses einseitige Bestimmungsrecht stünde im Widerspruch dazu, dass der Vertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber gem. § 241 Abs. 2 BGB seinem Inhalt nach beide Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Für den Inhalt und die Reichweite der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme sei von entscheidender Bedeutung, dass die bereitgestellte Social-Media-Plattform dem Zweck diene, den Nutzern einen „öffentlichen Marktplatz” für Informationen und Meinungsaustausch zu verschaffen. Im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts des Nutzers auf Meinungsfreiheit, müsse deshalb gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt wird. Es sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, wenn Facebook, gestützt auf ein „virtuelles Hausrecht”, den Beitrag eines Nutzers auch dann löschen darf, wenn die Äußerung die Grenzen einer zulässigen Meinungsäußerung nicht überschreitet.