OLG München, Beschl. 28.10.2022 - 12 UF 712/22

Voraussetzungen der Abtrennung einer Folgesache aus dem Scheidungsverbund

Autor: RA Dr. Walter Kogel, FAFamR, Dr. Kogel & Mast Familienanwälte, Aachen
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 05/2023
1. Die Abtrennung einer Folgesache unterliegt strengen Voraussetzungen. Neben einer außergewöhnlichen Verzögerung, die in der Regel ab einer Verfahrensdauer von zwei Jahren angenommen wird, muss der Aufschub der Ehescheidung eine unzumutbare Härte darstellen. Nach dem Gesetzeszweck darf nur ausnahmsweise die Auflösung des Verfahrens- und Ehescheidungsverbunds erfolgen.2. Die in der Aufrechterhaltung des Verbunds liegende Härte muss für den die Abtrennung begehrenden Ehegatten umso größer sein, je gewichtiger die abzutrennende Folgesache für den anderen Ehegatten in seiner jeweiligen Lebenssituation ist.3. Auch die Geburt eines Kindes und die Wiederverheiratung des Antragstellers nach islamischem Recht begründen nach nur zweijähriger Dauer des Scheidungsverfahrens nicht zwangsläufig eine unzumutbare Härte. Dies gilt vor allem dann, wenn das Verhalten des Antragstellers nicht seiner verfahrensrechtlichen Förderungspflicht entspricht. Stellt er Folgeanträge erst über ein Jahr nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags, spricht dies gegen eine Auflösung des Verbunds.

BGB § 1385 Nr. 1; FamFG § 137 Abs. 1, § 140 Abs. 2

Das Problem

Die seit 2006 kinderlos verheirateten Eheleute trennen sich im Juli 2019. Der Antragsteller stellt im Juli 2020 einen Scheidungsantrag. Im Oktober 2021 machte er den Zugewinn als Verbundsache mit einem Antrag von ca. 170.000 € anhängig. Dies beantwortet die Antragsgegnerin mit einem Gegenantrag i.H.v. 285.000 €. Grundstücke in Leipzig, München sowie eine Firma des Antragstellers in Marokko wären aufgrund des unterschiedlichen Sachvortrags durch einen Sachverständigen zu bewerten. Zwischenzeitlich werden wechselseitig Stufenanträge zum Unterhalt als Folgesachen gestellt. Beide Folgesachen werden jedoch bis zum Verhandlungstermin im Mai 2022 zurückgenommen. Der Antragsteller wiederholt nunmehr seinen bereits mehrfach vorher abschlägig beschiedenen Abtrennungsantrag. Er begründet dies damit, dass seine Partnerin im September 2022 unvorhergesehen ein Kind von ihm erwarte. Sie lebe mit ihm in Marokko. Ein Umzug nach Deutschland scheide aus. Mit ihr sei er nach marokkanischen Recht in zulässiger Weise verheiratet. Die Folgesache Zugewinn werde sich aufgrund der notwendigen Gutachten mindestens noch weitere ein bis zwei Jahre hinziehen. Seiner Ehefrau drohten in Marokko erhebliche Nachteile. Das Führen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und der Ehebruch seien in Marokko unter Strafe gestellt. Das Leben lediger Mütter und nichtehelicher Kinder sei dort mit lebenslangen Diskriminierungen und Demütigungen verbunden.

Die Entscheidung des Gerichts

Das AG gibt dem Abtrennungsantrag statt und scheidet die Ehe. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Sie führt zu einer Zurückverweisung im Oktober 2022 durch den Senat mit folgender Begründung: Ausgangspunkt sei § 140 Abs. 2 FamFG. Die Abtrennung einer güterrechtlichen Folgesache komme nur dann in Betracht, wenn die gleichzeitige Entscheidung das Verfahren so außergewöhnlich verzögern würde, dass ein weiterer Aufschub unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte darstelle. Zwar sei eine außergewöhnliche Verzögerung in der Regel ab einer Verfahrensdauer von zwei Jahren anzunehmen (st. Rspr., z.B. BGH v. 9.1.1991 – XII ZR 14/90, FamRZ 1991, 687 = NJW 1991, 1616). Insoweit sei auf die Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags desjenigen Ehegatten abzustellen, der sich auf eine unzumutbare Härte berufe. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, nicht aber das Merkmal der unzumutbaren Härte. Aufgrund der Zielsetzung des Verbundprinzips seien die Voraussetzungen für eine Abtrennung grundsätzlich eng auszulegen. Der Zweck des Verbunds dürfe nicht vereitelt werden. Nur ausnahmsweise komme eine Auflösung des Verfahrens- und Entscheidungsverbunds in Betracht. Allerdings könnten mit zunehmender Verfahrensdauer die Anforderungen an eine unzumutbare Härte geringer werden. Vorliegend sei das Interesse der Ehefrau, die ihrerseits immerhin eine Ausgleichsforderung von 285.000 € geltend mache, höher zu bewerten als das Interesse des Antragstellers. Die von diesem beweislos vorgetragenen und von Antragsgegnerseite bestrittenen Nachteile für eine alleinerziehende Mutter in Marokko seien nicht ausreichend. Das bloße Interesse an einer Wiederverheiratung sei kein hinreichendes Argument. Hinzutreten müssten vielmehr weitere Umstände, etwa ein hohes Lebensalter oder ein schlechter Gesundheitszustand des Betroffenen. Auch die Geburt eines Kindes aus einer Beziehung sei nicht ausreichend. Die insoweit ergangene Entscheidung des BGH (BGH v. 2.7.1986 – IVb ZR 54/85, FamRZ 1986, 898) sei nicht mehr relevant. Sie sei vor der Kindschaftsreform ergangen und durch die rechtliche Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern überholt. Letztendlich sei auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ein Verhalten an den Tag gelegt habe, das nicht seiner Verfahrensförderungspflicht entspreche. Erst ein Jahr und drei Monate nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags habe er die Folgesache Zugewinn anhängig gemacht. Sein Argument, diesen Antrag habe er erst nach Auskunftserteilung durch die Antragsgegnerin stellen können, hält der Senat für unbeachtlich. Dem Antragsteller habe das Mittel eines Stufenantrags zeitnah mit dem Scheidungsantrag zur Verfügung gestanden. Die behauptete Dringlichkeit sei daher zu verneinen.


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