OLG München, Urt. 5.8.2021 - 29 U 2411/21 Kart
Fehlende Rechtsfähigkeit einer britischen Limited mit Sitz in Deutschland nach dem Brexit
Autor: RRef’in Isabella Klotz, Witzel Erb Backu & Partner Rechtsanwälte, München
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 01/2022
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 01/2022
Eine britische Limited mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland ist seit dem Austritt Großbritanniens aus der EU als solche in Deutschland nicht rechts- und damit nicht parteifähig. Die Limited ist nach der sog. milden Form der Sitztheorie je nach tatsächlicher Ausgestaltung als GbR, OHG oder – bei nur einer Gesellschafterin – als einzelkaufmännisches Unternehmen zu behandeln. Die Gründungstheorie, aus der sich bisher, unter Geltung der Niederlassungsfreiheit, die Rechts- und Parteifähigkeit einer britischen Limited trotz tatsächlichen Verwaltungssitzes in Deutschland ergab, gilt nicht fort. Aus dem Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien ergibt sich, dass die Parteien des Abkommens die Niederlassungsfreiheit gerade nicht vereinbaren wollten.
EUV Art. 50; AEUV Art. 49, Art. 54; Anh. SERVIN-1 Nr. 10 zum Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich v. 24.12.2020; ZPO § 50 Abs. 1, § 56
Sitztheorie: Gegenüber Drittstaaten finde wegen gewohnheitsrechtlicher Geltung die sog. Sitztheorie Anwendung. Danach sei auf eine Gesellschaft das Recht des Staats anzuwenden, das am Sitz der Gesellschaft gelte. Sitz sei dabei der tatsächliche Verwaltungssitz, der sich an dem Ort befinde, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt würden (Sandrock’sche-Formel, vgl. BGH, Urt. v. 20.3.1986 – V ZR 10/85). Allein diese Formel sei für die Definition des tatsächlichen Verwaltungssitzes maßgeblich. Ein Rückgriff auf das deutsche oder britische Steuerrecht oder die Gewerbeordnung im Rahmen der Glaubhaftmachung verbiete sich. Da die insofern beweisbelastete Limited jedoch nicht ausreichend darlegen könne, dass sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz außerhalb Deutschlands befinde, sei nach der Sitztheorie deutsches Recht auf sie anzuwenden. Danach sei sie nicht rechtsfähig.
Gesellschaftsform: Im deutschen Gesellschaftsrecht gelte der sog. „numerus clausus“ der Gesellschaftsformen. Nach der milden Form der Sitztheorie sei die Limited allerdings nicht als rechtliches Nullum zu behandeln, sondern je nach tatsächlicher Ausgestaltung als GbR, OHG oder, bei nur einer Gesellschafterin, als einzelkaufmännisches Unternehmen (vgl. auch BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, II ZR 290/07 – Trabrennbahn, NJW 2009, 289 Rz. 23) zu behandeln.
Kein Rückgriff auf Gründungstheorie: Bei Geltung der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV folge aus der dann anwendbaren Gründungstheorie, dass Gesellschaften aus Großbritannien trotz tatsächlichen Verwaltungssitzes in Deutschland weiterhin rechts- und parteifähig in Deutschland wären. Die Gründungstheorie sei aber gerade nicht (mehr) anwendbar. Zum einen gewähre das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien v. 24.12.2020, das insb. den Zugang britischer Unternehmen zum Binnenmarkt regle, keine mit der Niederlassungsfreiheit vergleichbare Rechtsposition. Zum anderen ergebe sich aus dem Anh. SERVIN-1 Nr. 10 zum Handels- und Kooperationsabkommen vielmehr, dass die Parteien die Niederlassungsfreiheit gerade nicht in Bezug nehmen oder vereinbaren wollten.
EUV Art. 50; AEUV Art. 49, Art. 54; Anh. SERVIN-1 Nr. 10 zum Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich v. 24.12.2020; ZPO § 50 Abs. 1, § 56
Das Problem
Eine Onlinehändlerin in der Rechtsform einer britischen Limited hatte nach dem Vollzug des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union gem. Art. 50 EUV (sog. Brexit) vor dem LG München I den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Form eines kartellrechtlichen Unterlassungsanspruchs wegen einer Preisbindung für Kosmetikprodukte geltend gemacht, die von der Gegenseite über ein selektives Vertriebssystem mit Hilfe sog. Depositäre u.a. in Deutschland angeboten wurden. Das Gericht hatte den Antrag in erster Instanz als zulässig befunden, jedoch in der Sache als unbegründet zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Limited Berufung zum OLG München eingelegt.Die Entscheidung des Gerichts
Die Berufung wurde vom OLG München mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das erstinstanzliche Urteil dahingehend abgewandelt wird, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unzulässig ist. Die Limited sei mangels Rechtsfähigkeit nicht parteifähig gem. § 50 Abs. 1 ZPO. Sie habe ihre Rechtsfähigkeit bereits mit Vollzug des Brexits am 31.12.2020 und somit vor Antragstellung am 22.3.2021 verloren. Die Voraussetzungen der Parteifähigkeit seien gem. § 56 ZPO in jedem Rechtszug von Amts wegen zu prüfen.Sitztheorie: Gegenüber Drittstaaten finde wegen gewohnheitsrechtlicher Geltung die sog. Sitztheorie Anwendung. Danach sei auf eine Gesellschaft das Recht des Staats anzuwenden, das am Sitz der Gesellschaft gelte. Sitz sei dabei der tatsächliche Verwaltungssitz, der sich an dem Ort befinde, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt würden (Sandrock’sche-Formel, vgl. BGH, Urt. v. 20.3.1986 – V ZR 10/85). Allein diese Formel sei für die Definition des tatsächlichen Verwaltungssitzes maßgeblich. Ein Rückgriff auf das deutsche oder britische Steuerrecht oder die Gewerbeordnung im Rahmen der Glaubhaftmachung verbiete sich. Da die insofern beweisbelastete Limited jedoch nicht ausreichend darlegen könne, dass sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz außerhalb Deutschlands befinde, sei nach der Sitztheorie deutsches Recht auf sie anzuwenden. Danach sei sie nicht rechtsfähig.
Gesellschaftsform: Im deutschen Gesellschaftsrecht gelte der sog. „numerus clausus“ der Gesellschaftsformen. Nach der milden Form der Sitztheorie sei die Limited allerdings nicht als rechtliches Nullum zu behandeln, sondern je nach tatsächlicher Ausgestaltung als GbR, OHG oder, bei nur einer Gesellschafterin, als einzelkaufmännisches Unternehmen (vgl. auch BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, II ZR 290/07 – Trabrennbahn, NJW 2009, 289 Rz. 23) zu behandeln.
Kein Rückgriff auf Gründungstheorie: Bei Geltung der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV folge aus der dann anwendbaren Gründungstheorie, dass Gesellschaften aus Großbritannien trotz tatsächlichen Verwaltungssitzes in Deutschland weiterhin rechts- und parteifähig in Deutschland wären. Die Gründungstheorie sei aber gerade nicht (mehr) anwendbar. Zum einen gewähre das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien v. 24.12.2020, das insb. den Zugang britischer Unternehmen zum Binnenmarkt regle, keine mit der Niederlassungsfreiheit vergleichbare Rechtsposition. Zum anderen ergebe sich aus dem Anh. SERVIN-1 Nr. 10 zum Handels- und Kooperationsabkommen vielmehr, dass die Parteien die Niederlassungsfreiheit gerade nicht in Bezug nehmen oder vereinbaren wollten.