OLG Nürnberg, Urt. 23.7.2024 - 3 U 2469/23

Keine Auslistungspflicht des Hostproviders aufgrund unkonkreter Beanstandung

Autor: RAin, FAin IT-Recht Maria-Urania Dovas, LL.M., Langwieser Rechtsanwälte, München
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2024
Kann auf der Grundlage der Angaben des Anspruchstellers eine behauptete Persönlichkeitsrechtsverletzung durch ein Internetvideo nicht unschwer bejaht werden, wird dadurch eine Pflicht des Hostproviders, i.S.v. Art. 6 Abs. 1 DSA bzw. der Rechtsprechung des BGH zur Haftung als mittelbarer Störer tätig zu werden, nicht ausgelöst.

DSA Art. 6 Abs. 1; DSGVO Art. 17; GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1; BGB §§ 823 Abs. 1 analog, 1004 Abs. 1 Satz 2

Das Problem

Der Gesellschafter einer GmbH wandte sich an YouTube, um zu erreichen, dass ein Video eines in den USA wohnhaften Journalisten, das dieser auf YouTube hochgeladen hatte, von der Plattform entfernt wird. Darin wird der GmbH und drei mit ihr verbundenen Personen betrügerisches Verhalten vorgeworfen und mangelnde Fachkenntnisse unterstellt. Der Gesellschafter hatte das Video ca. sechs Wochen nach Kenntniserlangung über ein Formular bei YouTube beanstandet, woraufhin er noch am selben Tag eine Rückmeldung von YouTube mit der Bitte um Mitteilung der konkreten Äußerungen und des entsprechenden Zeitpunkts dieser Äußerungen erhielt. Weitere sechs Monate später erreichte YouTube ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Betroffenen, woraufhin YouTube erneut darum bat, die entsprechenden Angaben zu den vermeintlichen persönlichkeitsverletzenden Äußerungen mitzuteilen und die Identität des Betroffenen hinreichend nachzuweisen. Es folgte die Zusendung einer Vollmacht als Nachweis der Identität. Ein weiteres halbes Jahr später erfolgte eine Abmahnung, woraufhin YouTube das Video nach acht Tagen für Deutschland sperrte und den Betroffenen entsprechend informierte. Eine geforderte Unterlassungserklärung gab die Plattform nicht ab, eine Weiterleitung der Beanstandung an den Verfasser des Videos nahm sie nicht vor.

Die Entscheidung des Gerichts

Die zulässige Berufung von YouTube sei begründet. Die Klage sei unbegründet, da die Voraussetzungen einer Haftung als mittelbarer Störer für die behauptete Persönlichkeitsrechtsverletzung des Gesellschafters nicht gegeben seien und sich der geltend gemachte Anspruch auch nicht aus Art. 17 DSGVO ergebe.

Störerhaftung: Es finde keine Erstreckung der Rechtsprechung des BGH zur mittelbaren Störerhaftung über Gebühr auf Dritte statt. Voraussetzung für die Störerhaftung sei die Verletzung von Verhaltenspflichten, insb. Prüfpflichten. Diese richtet sich danach, ob und inwieweit dem als mittelbaren Störer in Anspruch Genommen nach den Umständen des Einzelfalls eine Verhinderung der Verletzung zuzumuten ist. Es bestehe für einen Hostprovider keine grundsätzliche Pflicht zur vorherigen Überprüfung, aber eine Verantwortlichkeit nach Kenntniserlangung zur zukünftigen Verhinderung derartiger Störungen.

Abwägung: Da sich Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht ohne weiteres feststellen ließen, sei eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechtsschutz und dem Recht des Providers auf Meinung- und Medienfreiheit erforderlich. Es müsse sich um eine so konkrete Beanstandung handeln, dass der Verstoß unschwer, also ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Prüfung, bejaht werden könne. Dabei seien das Gewicht der Verletzung, die Erkenntnismöglichkeiten des Providers, die Funktion und Aufgabenstellung des Diensts sowie die Eigenverantwortung des für die persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigenden Aussagen unmittelbar verantwortlichen Nutzers zu berücksichtigen. Außerdem sei einzubeziehen, inwieweit der Betroffene für die Durchsetzung seines Anspruchs mangels eigener Erkenntnismöglichkeiten auf Tatsachen angewiesen sei, die der Diensteanbieter im Rahmen eines „Anhörungsverfahrens“ vom Nutzer erfahren konnte.

Art. 6 Abs. 1 DSA: Die Rechtsprechung des BGH zur Störerhaftung stehe in Einklang mit Art. 6 Abs. 1 DSA. Dabei sei YouTube Vermittlungsdienstleister i.S.d. Art. 2 Abs. 1 DSA. Es sei aber nicht erkennbar, dass die Bereitstellung der technischen Infrastruktur und der Such- und Ratingfunktion zu einer aktiven Rolle von YouTube geführt hätten. Der DSA enthalte keine Pflicht zur Überwachung der Informationen oder zum Forschen nach Umständen, die auf rechtswidrige Tätigkeit hindeuteten (Art. 8 DSA). Es finde sich ein Haftungsausschluss für Hostingdienste in Art. 6 DSA, der eröffnet sei, weil weder der hochladende Nutzer YouTube unterstehe noch dieser von YouTube beaufsichtigt werde und es sich auch nicht um eigene oder zu eigen gemachte Inhalte von YouTube handle. Es bestehe also keine Haftung, sofern keine tatsächliche Kenntnis vom rechtswidrigen Inhalt vorliege. Dabei sei von einer Kenntnis auszugehen, wenn der Hinweis so präzise sei, dass ein leichtes Auffinden und die Feststellung der Rechtswidrigkeit ohne weiteres möglich seien (Art. 6 DSA). Es müsse auch nach Art. 6 DSA ein Anlass für den Diensteanbieter bestehen, einen Inhalt auf seine Rechtswidrigkeit hin zu überprüfen.

Vorzusehendes Meldeverfahren (Art. 16 Abs. 3 DSA): Auch das Meldeverfahren müsse es einem sorgfältig handelnden Provider ermöglichen, eine Feststellung der Rechtswidrigkeit auch ohne eingehende rechtliche Prüfung zu treffen. Es dürften also keine eigenständige Einschätzung des Kontexts und detaillierte juristische Prüfung durch den Anbieter gefordert sein.

Sekundäre Darlegungslast: Den Portalbetreiber treffe die Obliegenheit, vom Nutzer Informationen zu fordern; komme er seiner Obliegenheit nicht nach, würden dessen Tatsachenbehauptungen als zugestanden gelten. Dies gelte dann, wenn es keine weitere Möglichkeit des Betroffenen zur Aufklärung des Sachverhalts gebe. Allerdings hätten dem Betroffenen vorliegend Möglichkeiten zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung gestanden; er habe das Video und auch den Journalisten gekannt.

Abwägung der widerstreitenden Belange: Vorliegend könne die behauptete Persönlichkeitsrechtsverletzung auf der Grundlage der Darlegung des Klägers nicht unschwer bejaht werden, so dass eine Pflicht zum Tätigwerden als mittelbare Störerin (Art. 6 Abs. 1 DSA) nicht ausgelöst worden sei.

Keine „unschwer zu bejahende“ Persönlichkeitsrechtsverletzung: Es komme auf den Wahrheitsgehalt der Behauptungen an. Die angegriffenen Äußerungen können nicht als „unschwer zu bejahende“ Persönlichkeitsrechtsverletzung qualifiziert werden, da es sich um Meinungsäußerungen, keine unzutreffenden Tatsachenbehauptungen handle. Insb. die Wörter „Betrug“, „betrügerisch“ und „Machenschaften“ seien keine Tatsachenbehauptungen einer Strafbarkeit, sondern Werturteile im alltagssprachlichen Sinn. Da es sich nicht um Schmähkritik handle, sei die Meinungsfreiheit zu schützen. Auch könne ein Sachbezug nicht abgesprochen werden und müsse man sich im Geschäftsverkehr auch scharfe und überzogen formulierte Kritik gefallen lassen.

Kein Unterlassungsanspruch aus Art. 17 DSGVO: Grundsätzlich könne sich ein Unterlassungsanspruch der betroffenen Person aus Art. 17 DSGVO ergeben. Die DSGVO bleibe durch den DSA unberührt, da der Schutz von Einzelpersonen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten einzig durch die DSGVO erfolge. Der Anspruch bestehe allerdings nicht, da der Betroffene nachweisen müsse, dass im gelisteten Inhalt enthaltene Informationen offensichtlich unrichtig seien. Dabei sei zu berücksichtigen, dass – anders als bei Suchmaschinenbetreibern – der Provider auf die Richtigkeit des Inhalts keinen Einfluss habe. Eine Auslistungspflicht ergebe sich nur als Folge der Verletzung nachgelagerter, durch die initiale Meldung von Betroffenen ausgelösten Prüfungs- und Reaktionspflichten. Dabei dürfe die Abwägung gem. Art. 6 DSA nicht außer Acht gelassen werden, da diese anderenfalls eine Umgehung der bewusst differenzierenden Regelungen des DSA durch einen Löschungsanspruch gem. Art. 17 DSGVO bedeuten würde.


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