Parabolantenne: Rechte ethnischer Minderheiten

Autor: VRiLG Dr. Johannes Hogenschurz, Köln
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 07/2013
Bei der Abwägung, ob ein Mieter wegen seines Interesses am Empfang von Rundfunkprogrammen seiner Heimat eine Parabolantenne installieren darf, ist auch die besondere Situation ethnischer Minderheiten und Angehöriger einer bestimmten Volks- oder Sprachgruppe zu berücksichtigen.

BVerfG, Beschl. v. 31.3.2013 - 1 BvR 1314/11

Vorinstanz: LG München I - 31 S 5154/10

GG Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2; BGB §§ 242, 541, 1004

Das Problem:

Der Mieter, ein türkischer Staatsangehöriger turkmenischer Abstammung aus einer vor mehr als 100 Jahren aus dem Irak in die Türkei übersiedelten Familie, der sich der in der Türkei lebenden turkmenischen Minderheit verbunden fühlt, die eigenen Traditionen und der turkmenischen Sprache verbunden ist, brachte ohne die laut Mietvertrag erforderliche Zustimmung des Vermieters eine Parabolantenne an, um ein nicht über die vorhandene zentrale Satellitenempfangsanlage empfangbares Fernsehprogramm zu empfangen, das ganztägig in türkischer und turkmenischer Sprache ausgestrahlt wird und Nachrichten und Informationen über die turkmenische Region und die dort lebenden Menschen zeigt. Das AG verurteilte in der durch Verständigungsschwierigkeiten bei der Anhörung des Mieters begründeten Annahme, Turkmenisch sei ein türkischer Dialekt, den Mieter zur Beseitigung, weil er mit einer Set-Top-Box über die zentrale Satellitenempfangsanlage für einen Aufpreis von 7,49 € monatlich fünf und für 25,65 € monatlich zehn türkische Fernsehsender empfangen könne; diese Empfangsmöglichkeit trage seinem Informationsbedürfnis zumutbar hinreichend Rechnung. Das LG bestätigte diese Entscheidung; die Interessenabwägung sei nicht zu beanstanden, auch wenn Turkmenisch eine eigene Sprache sei.

Die Entscheidung des Gerichts:

Die Verfassungsbeschwerde führt zu einem vorläufigen Erfolg mit der Zurückverweisung an das AG. Die Interessenabwägung ist fehlerhaft. Die Installation einer Parabolantenne ist vom Schutzbereich des Grundrechts auf Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1, Hs. 2 GG, umfasst. Bei Streitigkeiten über die Installation von Parabolantennen müssen die Gerichte daher eine Abwägung dieser Grundrechtsposition mit den Eigentümerinteressen des Vermieters, Art. 14 Abs. 1 GG, an der auch optisch ungeschmälerten Erhaltung des Wohnhauses vornehmen; ist ein Kabelanschluss vorhanden, bedarf es einer Parabolantenne zur Befriedigung des Informationsinteresses grundsätzlich nicht (BVerfG v. 9.2.1994 – 1 BvR 1687/92, BVerfGE 90, 27 = MDR 1994, 547). Bei einem dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländer ist aber dessen Interesse zu berücksichtigen, sich durch Programme seines Heimatlands über das dortige Geschehen zu unterrichten und die kulturelle und sprachliche Verbindung zu seinem Heimatland aufrechterhalten zu können; Zeitungen sind kein ausreichender Ersatz. Dieses Informationsinteresse kann durch andere Empfangsmöglichkeiten ohne Parabolantenne ausreichend befriedigt sein, auch wenn diese mit zumutbaren Zusatzkosten verbunden sind (BVerfG v. 24.1.2005 – 1 BvR 1953/00, WuM 2005, 235). Hier ist das AG unzutreffend davon ausgegangen, Turkmenisch sei ein türkischer Dialekt. Das LG hat nicht begründet, warum für die Interessenabwägung nichts anderes gilt, wenn Turkmenisch eine eigene Sprache ist. Nicht gewürdigt und gewichtet worden ist das spezifische Interesse des Mieters, in turkmenischer Sprache Informationen über die turkmenische Minderheit in der Türkei zu erhalten. Bei der gebotenen neuen Abwägung wird das AG zu klären haben, inwieweit der Lebensalltag des Mieters, wie er geltend macht, vom Gebrauch der turkmenischen Sprache und turkmenischer Traditionen geprägt ist, obwohl er nie in den turkmenischsprachigen Herkunftsgebieten seiner Vorfahren gewohnt hat, und inwieweit sein besonderes Informationsbedürfnis bereits durch die anderweitig empfangbaren türkischen Programme befriedigt wird.


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