Risikosphären beim Providerwechsel
Autor: RA Dr. Aegidius Vogt, RAYERMANN Legal, München – www.rayermann.de
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 06/2013
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 06/2013
Ist der Anschluss eines Telefonkunden nach dem Anbieterwechsel über mehrere Wochen nicht aus anderen Netzen erreichbar, so stellt dies einen wichtigen Grund zur Kündigung des Vertrags dar. Der Kunde ist nach Beendigung eines (Flatrate-) Vertrags lediglich zum Ersatz der tatsächlich gezogenen Nutzungen verpflichtet. Der Anbieter ist dann zur Verwendung der Verkehrsdaten berechtigt.
BGH, Urt. v. 7.3.2013 - III ZR 231/12
Vorinstanz: LG Berlin, Urt. v. 20.6.2012 - 50 S 13/12
Vorinstanz: AG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 6.1.2012 - 209 C 57/11
BGB §§ 314 Abs. 1 Satz 2, 626 Abs. 1, 818 Abs. 1, 2; TKG §§ 45i Abs. 2, 97 Abs. 1
Abgrenzung der Risikobereiche: Fraglich sei, ob der Kündigungsgrund der Sphäre der Anbieterin oder des Kunden entspringe. Die seitens des vorherigen Anbieters unterlassene Aktualisierung der Portierungsdatenbank falle nach dem Vertrag in den Risikobereich des neuen Anbieters, was vor allem aus der Anpreisung eines reibungslosen Wechsels in der Internetwerbung folge. Ob der Inhalt der Werbeaussage ausdrücklich in den Vertragsschluss einbezogen worden oder nur als zunächst unverbindliche Erklärung zu werten sei, spiele letztlich keine Rolle. Denn der neue Anbieter habe mit der Aussage, im Fall eines Wechsels „alles Weitere” für den Kunden zu erledigen, die gesamte Verantwortung für den Wechsel übernommen. Darunter falle auch die Auseinandersetzung mit dem bisherigen Anbieter.
Wertersatz: Der Anbieter könne Wertersatz für die Nutzung des Anschlusses in der Zeit nach Vertragsbeendigung verlangen. Maßgeblich hierfür seien allerdings nur die tatsächlich gezogenen Nutzungen. Der in der Literatur vertretenen Auffassung, in solchen Fällen sei die objektive Nutzungsmöglichkeit entscheidend, weshalb der Kunde zur Zahlung des gesamten Flatratetarifs verpflichtet gewesen wäre, sei nicht zu folgen. Diese Berechnung widerspreche dem Zweck des Bereicherungsrechts, das in aller Regel lediglich darauf gerichtet sei, eine tatsächlich erlangte Bereicherung abzuschöpfen. Es gelte deshalb der Grundsatz, dass die Herausgabepflicht keinesfalls zu einer Verminderung des Vermögens über den tatsächlichen Betrag der Bereicherung hinaus führen dürfe. Ein Bereicherungsausgleich von Nutzungen ohne Rücksicht darauf stehe zudem im Widerspruch dazu, dass lediglich der bösgläubige oder verklagte Schuldner Ersatz für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen zu leisten habe.
Kein Entfallen der Nachweispflicht: Zwar entfalle nach § 45i Abs. 2 TKG die Nachweispflicht des Anbieters für die erbrachten Verbindungsleistungen, wenn Verkehrsdaten u.a. aus technischen Gründen nicht gespeichert oder diese rechtmäßig gelöscht würden. Dies dürfte entsprechend gelten, wenn der Anbieter zur Verwendung der angefallenen Verkehrsdaten nicht berechtigt sei (vgl. §§ 96, 97, 100 TKG). Wegen des Flatratetarifs sei der Anbieter zunächst nicht berechtigt gewesen, die Verkehrsdaten zu verwenden, soweit von dieser Flatrate umfasste Verbindungen betroffen gewesen seien. Allerdings sei mit der wirksamen Kündigung auch die Flatratevereinbarung entfallen. Ab diesem Zeitpunkt sei der Anbieter nach § 97 Abs. 1 TKG also wieder zur Verwendung der Verkehrsdaten berechtigt gewesen, so dass eine entsprechende Anwendung von § 45i Abs. 2 TKG ausscheide. Soweit der Anbieter fälschlicherweise davon ausgegangen sei, nicht zur Speicherung der Verkehrsdaten befugt zu sein, weil der Flatratetarif aufgrund der vermeintlichen Unwirksamkeit der Kündigung weiter gelte, handle es sich um einen von ihm selbst zu verantwortenden Rechtsirrtum, der nicht zu Lasten des Kunden gehen könne.
BGH, Urt. v. 7.3.2013 - III ZR 231/12
Vorinstanz: LG Berlin, Urt. v. 20.6.2012 - 50 S 13/12
Vorinstanz: AG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 6.1.2012 - 209 C 57/11
BGB §§ 314 Abs. 1 Satz 2, 626 Abs. 1, 818 Abs. 1, 2; TKG §§ 45i Abs. 2, 97 Abs. 1
Das Problem:
Ein Telekommunikationsdiensteanbieter warb auf seiner Internetseite mit dem Versprechen, sich umfassend und schnell um einen Anbieterwechsel zu kümmern, um Neukunden. Kurz nach dem Anbieterwechsel stellte der Kunde jedoch fest, dass sein Anschluss nicht aus den Netzen anderer Anbieter erreichbar war. Diese Störung beruhte auf einem Versäumnis seines bisherigen Anbieters, der die Portierungsdatenbank nicht aktualisiert hatte. Der Kunde verlangte von seinem neuen Anbieter Störungsbehebung und kündigte nach fruchtlosem Verstreichen einer Frist den Vertrag. Der Anschluss war allerdings weiterhin freigeschaltet und wurde von dem Kunden in der Folgezeit auch gelegentlich genutzt. Der Anbieter kündigte einige Monate später seinerseits den Vertrag wegen Zahlungsrückständen und verlangte nun u.a. die Zahlung des bis dahin angefallenen monatlichen Flatratetarifs.Die Entscheidung des Gerichts:
Der BGH bestätigt das weitgehend klageabweisende Urteil des LG Berlin. Unter Hinweis auf sein Senatsurteil zum Schadensersatz bei Ausfall eines Internetzugangs stellt das Gericht fest, dass die mehrwöchige Nichterreichbarkeit des Anschlusses aus den Netzen anderer Anbieter einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellt (BGH, Urt. v. 24.1.2013 – III ZR 98/12, CR 2013, 294 = ITRB 2013, 89).Abgrenzung der Risikobereiche: Fraglich sei, ob der Kündigungsgrund der Sphäre der Anbieterin oder des Kunden entspringe. Die seitens des vorherigen Anbieters unterlassene Aktualisierung der Portierungsdatenbank falle nach dem Vertrag in den Risikobereich des neuen Anbieters, was vor allem aus der Anpreisung eines reibungslosen Wechsels in der Internetwerbung folge. Ob der Inhalt der Werbeaussage ausdrücklich in den Vertragsschluss einbezogen worden oder nur als zunächst unverbindliche Erklärung zu werten sei, spiele letztlich keine Rolle. Denn der neue Anbieter habe mit der Aussage, im Fall eines Wechsels „alles Weitere” für den Kunden zu erledigen, die gesamte Verantwortung für den Wechsel übernommen. Darunter falle auch die Auseinandersetzung mit dem bisherigen Anbieter.
Wertersatz: Der Anbieter könne Wertersatz für die Nutzung des Anschlusses in der Zeit nach Vertragsbeendigung verlangen. Maßgeblich hierfür seien allerdings nur die tatsächlich gezogenen Nutzungen. Der in der Literatur vertretenen Auffassung, in solchen Fällen sei die objektive Nutzungsmöglichkeit entscheidend, weshalb der Kunde zur Zahlung des gesamten Flatratetarifs verpflichtet gewesen wäre, sei nicht zu folgen. Diese Berechnung widerspreche dem Zweck des Bereicherungsrechts, das in aller Regel lediglich darauf gerichtet sei, eine tatsächlich erlangte Bereicherung abzuschöpfen. Es gelte deshalb der Grundsatz, dass die Herausgabepflicht keinesfalls zu einer Verminderung des Vermögens über den tatsächlichen Betrag der Bereicherung hinaus führen dürfe. Ein Bereicherungsausgleich von Nutzungen ohne Rücksicht darauf stehe zudem im Widerspruch dazu, dass lediglich der bösgläubige oder verklagte Schuldner Ersatz für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen zu leisten habe.
Kein Entfallen der Nachweispflicht: Zwar entfalle nach § 45i Abs. 2 TKG die Nachweispflicht des Anbieters für die erbrachten Verbindungsleistungen, wenn Verkehrsdaten u.a. aus technischen Gründen nicht gespeichert oder diese rechtmäßig gelöscht würden. Dies dürfte entsprechend gelten, wenn der Anbieter zur Verwendung der angefallenen Verkehrsdaten nicht berechtigt sei (vgl. §§ 96, 97, 100 TKG). Wegen des Flatratetarifs sei der Anbieter zunächst nicht berechtigt gewesen, die Verkehrsdaten zu verwenden, soweit von dieser Flatrate umfasste Verbindungen betroffen gewesen seien. Allerdings sei mit der wirksamen Kündigung auch die Flatratevereinbarung entfallen. Ab diesem Zeitpunkt sei der Anbieter nach § 97 Abs. 1 TKG also wieder zur Verwendung der Verkehrsdaten berechtigt gewesen, so dass eine entsprechende Anwendung von § 45i Abs. 2 TKG ausscheide. Soweit der Anbieter fälschlicherweise davon ausgegangen sei, nicht zur Speicherung der Verkehrsdaten befugt zu sein, weil der Flatratetarif aufgrund der vermeintlichen Unwirksamkeit der Kündigung weiter gelte, handle es sich um einen von ihm selbst zu verantwortenden Rechtsirrtum, der nicht zu Lasten des Kunden gehen könne.