Schmerzensgeldanspruch wegen permanenter Videoüberwachung am Arbeitsplatz

Autor: RA, FAArbR Bahram Aghamiri, WZR Wülfing Zeuner Rechel, Hamburg
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 08/2011
Installiert der Arbeitgeber ohne Einwilligung seiner Arbeitnehmer am Arbeitsplatz eine Videoanlage, die dazu geeignet ist, die Arbeitnehmer fortlaufend zu überwachen, so verletzt er hierdurch in so schwerwiegender und rechtswidriger Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer, dass diese eine Entschädigung in Geld beanspruchen können.

LAG Hessen, Urt. v. 25.10.2010 - 7 Sa 1586/09 (nrkr.)

Vorinstanz: ArbG Wetzlar, Urt. v. 1.9.2009 - 3 Ca 211/08

GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1; BDSG § 6b Abs. 1

Das Problem:

In einem Zeitarbeitsunternehmen wurde gegenüber der Eingangstür eines 12 Meter langen Büros eine Videokamera angebracht, die auf den Eingangsbereich und den Arbeitsplatz zweier Arbeitnehmerinnen gerichtet war. Diese äußerten gegenüber ihrem unmittelbaren Vorgesetzten mehrfach Bedenken gegen die Installation der Videokamera und verhängten schließlich die Linse mit einem Tuch. Dies veranlasste den Arbeitgeber dazu, beide Arbeitnehmerinnen freizustellen; in der Folge wurden die Arbeitsverhältnisse durch Aufhebungsvertrag beendet.

Die Entscheidung des Gerichts:

Der Arbeitnehmerin stehe aufgrund der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Schmerzensgeldanspruch i.H.v. 7.000 € zu.

Persönlichkeitsrechtsverletzung: Nach der Rechtsprechung des BGH setze ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus, dass eine schwerwiegende Verletzung vorliege, bei welcher die Beeinträchtigung nach der Art der Verletzung nicht in anderer Weise durch Genugtuung, Unterlassung, Gegendarstellung oder Widerruf befriedigend ausgeglichen werden könne (BGH, Urt. v. 5.10.2004 – VI ZR 255/03, NJW 2005, 215). Dabei zähle zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch das Recht am eigenen Bild. Es gehöre zum Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen, darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürften. Aus diesem Grunde unterfalle nicht erst die Verwertung, sondern bereits die Herstellung von Abbildungen dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BAG, Beschl. v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, MMR 2008, 777). Unter Bezugnahme auf das Volkszählungsurteil des BVerfG (BVerfG, 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1 [42]) sei auch unerheblich, ob die Videokamera tatsächlich Aufzeichnungen erzeuge, denn allein durch die Ungewissheit darüber, ob die sichtbar angebrachte Videokamera aufzeichne oder nicht, werde der Arbeitnehmer einem ständigen Anpassungsdruck ausgesetzt (BAG, Beschl. v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278 = ArbRB 2004, 266). Allein die Installation der Videokamera führe also zu einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmerin.

Keine Rechtfertigung: Allerdings könne das allgemeine Persönlichkeitsrecht außerhalb des Kernbereichs privater Lebensgestaltung Beschränkungen durch die rechtlich geschützten Belange anderer Grundrechtsträger erfahren. Der Eingriff müsse aber, sofern er nicht durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung gestattet sei, durch schutzwürdige Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung für die Videoüberwachung aus § 6b Abs. 1 BDSG sei vorliegend nicht gegeben, denn diese Vorschrift rechtfertige nur die Überwachung öffentlich zugänglicher Räume, die ihrem Zweck nach dazu bestimmt seien, von einer unbestimmten Zahl oder einem nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personenkreis betreten zu werden. Dies gelte für den vorliegend betroffenen Arbeitsplatz nicht. Auch schützenswerte Belange des Arbeitgebers rechtfertigten den Eingriff nicht. Die Installation der Videokamera sei jedenfalls unverhältnismäßig i.e.S., da die Arbeitnehmerin als unverdächtige Dritte einem Dauerüberwachungsdruck ausgesetzt worden sei.

Keine Einwilligung: Dass die Arbeitnehmerin in die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingewilligt habe, habe der insofern darlegungs- und beweisbelastete Arbeitgeber nicht nachvollziehbar darlegen können.

Anspruchshöhe: Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sei schwerwiegend gewesen. Um der Betroffenen einerseits Genugtuung zu verschaffen und andererseits zu einer Prävention beizutragen, erscheine unter Berücksichtigung der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, des Anlasses und Beweggrundes des Handelnden sowie des Grads des Verschuldens des Schädigers eine Geldentschädigung i.H.v. 7.000 € geboten.


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