Übersehene, vergessene oder verschwiegene Anrechte im Versorgungsausgleich

Autor: RiAG Walther Siede, Viechtach
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 11/2013
Wurden im Ausgangsverfahren bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs bei der Scheidung (bzw. des öffentlich rechtlichen Versorgungsausgleichs in Altfällen) Anrechte eines Ehegatten versehentlich nicht berücksichtigt, vergessen oder verschwiegen oder sind sonstige Rechen- oder Rechtsanwendungsfehler aufgetreten, können diese Fehler weder im Rahmen eines Abänderungsverfahrens gem. §§ 51 VersAusglG, 226 FamFG noch durch einen nachträglichen Ausgleich durch Ausgleichsansprüche nach der Scheidung korrigiert werden.

BGH, Beschl. v. 24.7.2013 - XII ZB 340/11

Vorinstanz: OLG Dresden, Beschl. v. 23.6.2011 - 20 UF 502/11

VersAusglG §§ 20, 51; FamFG §§ 225, 226

BGH, Beschl. v. 24.7.2013 - XII ZB 415/12

Vorinstanz: KG, Beschl. v. 12.6.2012 - 13 UF 199/11

VersAusglG §§ 20, 51; FamFG §§ 225, 226

Das Problem:

XII ZB 340/11: Das FamG hatte vor dem 1.9.2009 den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich durchgeführt. Es hat hierbei nur Anwartschaften der Ehegatten bei der Deutschen Rentenversicherung bzw. deren Rechtsvorgängern berücksichtigt. Andere Anwartschaften hatten die Ehegatten in den Fragebögen für das Gericht nicht angegeben. Nunmehr ist die Ehefrau, zu deren Gunsten Anwartschaften übertragen worden waren, rentenberechtigt. Es stellt sich heraus, dass ihr – zwischenzeitlich verstorbener – Ehemann in der Ehezeit auch ein von ihm nicht angegebenes Anrecht bei der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes bei der VBL (im Folgenden: ZvöD) erworben hatte. Die – insgesamt – ausgleichsberechtigte Ehefrau strebt eine Korrektur der ursprünglichen Entscheidung mit der Folge an, dass auch hinsichtlich des Anrechts bei der ZvöD ein Ausgleich zu ihren Gunsten erfolgt. Ihre auf Abänderung bzw. Ausgleichsansprüche nach der Scheidung gerichteten Anträge wurden durch alle Instanzen abgewiesen.

XII ZB 415/12: Im zweiten durch den BGH entschiedenen Fall hatte das FamG ursprünglich Anrechte des Ehemannes bei der gesetzlichen Rentenversicherung und Anrechte der Ehefrau bei der gesetzlichen Rentenversicherung und der ZvöD ausgeglichen. Eine weitere Anwartschaft des Ehemannes bei der S. Bau war nicht berücksichtigt worden, da diese der Ehemann nicht angegeben hatte. Der Ehemann hat einen an sich zulässigen Antrag auf Abänderung der Entscheidung zum Versorgungsausgleich wegen nachträglicher rückwirkender Änderungen gestellt. Es stellt sich die Frage, ob bei der Abänderung der Entscheidung nunmehr auch das Anrecht des Ehemannes auf eine Rente aus der betrieblichen Altersversorgung bei der S. Bau berücksichtigt werden kann.

Die Entscheidungen des Gerichts:

Der BGH bestätigt jeweils die Entscheidungen der Vorinstanzen, die eine nachträgliche Berücksichtigung der übergangenen Anrechte abgelehnt hatten. Weiterhin führt er in der Entscheidung XII ZB 340/11 aus, dass hinsichtlich in der Ausgangsentscheidung nicht berücksichtigter Anrechte, die übersehen, vergessen oder verschwiegen worden waren, auch ein Ausgleich durch Ansprüche nach der Scheidung nicht möglich ist.

Der BGH befürwortet einen weiten Umfang der Rechtskraft der Ausgangsentscheidung zum Versorgungsausgleich: Bei der Scheidung wird abschließend über alle dem Versorgungsausgleich unterliegenden Anrechte entschieden, sofern nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen für den Ausgleich durch Ansprüche nach der Scheidung gem. §§ 6–8, 19 VersAusglG vorliegen. Für Alttitel sieht nur § 51 VersAusglG eine Möglichkeit der Rechtkraftdurchbrechung vor, wenn kumulativ u.a. folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Es ist eine Entscheidung über das Anrecht, wegen dessen Abänderung beantragt wird, ergangen und der Abänderungsantrag wird auf eine nachträgliche Änderung der Tatsachen oder der rechtlichen Grundlagen, die auf die Bewertung des Ehezeitanteils zurückwirken, gestützt. Da beide Voraussetzungen im Hinblick auf bei der Ausgangsentscheidung übergangene Anrechte nicht vorliegen, bestätigt der BGH die Auffassung der Vorinstanzen, dass ein Abänderungsantrag auch bei einer Altentscheidung nicht darauf gestützt werden könne, dass bei der Ausgangsentscheidung ein Anrecht übersehen worden sei und dass im Ausgangsverfahren übersehene Anrechte auch nicht nachträglich im Rahmen eines ansonsten zulässigen Abänderungsverfahrens gem. § 51 VersAusglG berücksichtigt werden könnten.

Während § 10a VAHRG auch die nachträgliche Korrektur von Rechen- und Rechtsanwendungsfehlern sowie die nachträgliche Berücksichtigung übergangener Anrechte erlaubt hatte, sind die Möglichkeiten einer Abänderung der Ausgangsentscheidung durch § 51 VersAusglG nunmehr deutlich eingeschränkt. Der BGH sieht hierin, auch soweit Altentscheidungen betroffen sind, keinen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

Schließlich setzt sich der BGH unter umfassender Auswertung der hierzu vorgetragenen Argumente mit der in Rspr. und Lit. außerordentlich umstrittenen Frage auseinander, ob bei der Ausgangsentscheidung übergangene Anrechte durch Ausgleichsansprüche nach der Scheidung ausgeglichen werden können. Er verneint diese Frage mit dem systematischen Argument, Ausgleichsansprüche nach der Scheidung hätten nur subsidiäre Bedeutung für Anrechte, hinsichtlich deren die Ehegatten den Ausgleich bei der Scheidung ausgeschlossen hätten oder die bei Erlass der Entscheidung nicht ausgleichsreif waren (§ 19 VersAusglG), sowie mit dem Argument, dem Ausgleich durch Ansprüche nach der Scheidung stehe die Rechtskraft der Ausgangsentscheidung entgegen.


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