Überstundenschätzung – Umfang der Arbeitszeit

Autor: RA FAArbR Dr. Ulrich Boudon, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 08/2015
Die Klausel, es werde „in Vollzeit” gearbeitet, kann mangels ausdrücklicher Festlegung der Arbeitszeit dahingehend ausgelegt werden, dass maximal 40 Wochenstunden Regelarbeitszeit geschuldet werden. Der Mindestumfang geleisteter Überstunden darf geschätzt werden, wenn unstreitig ist oder feststeht (§ 286 ZPO), dass Überstunden geleistet wurden und der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde belegen kann.

BAG, Urt. v. 25.3.2015 - 5 AZR 602/13

Vorinstanz: LAG Hamm - 8 Sa 1649/12

BGB §§ 611 Abs. 1, 612 Abs. 1; ZPO §§ 286 Abs. 1, 287 Abs. 1 u. 2

Das Problem

Der Kläger wurde als Busfahrer gegen eine Monatsvergütung von 1.800 € brutto beschäftigt. Zur Dauer der Arbeitszeit regelte der Vertrag lediglich die Beschäftigung „in Vollzeit” sowie weiter:

„Die Arbeitszeit ist dem Arbeitnehmer bekannt. Er hat im Monat zwei Samstage und jeden Sonntag frei.”

Nach dem Vertrag waren näher beschriebene Kontroll- und Verwaltungsaufgaben vor und nach Antritt der Bustouren im Linienverkehr durchzuführen. Ausgehend von einer Regelarbeitszeit von 40 Wochenstunden verlangte der Kläger die Vergütung von 649 Überstunden. Die Beklagte wandte ein, Überstunden könnten nicht angefallen sein, weil der Kläger als Arbeitszeit die Zeit geschuldet habe, die er für die Erledigung der ihm vertraglich zugewiesenen Arbeiten benötigt habe.

Die Entscheidung des Gerichts

Das LAG und ihm folgend das BAG sprachen dem Kläger den Zahlungsanspruch überwiegend zu. Der Arbeitsvertrag enthalte keine ausdrückliche Vereinbarung der Arbeitszeit. Der Hinweis, diese sei dem Arbeitnehmer bekannt, sei keine Vereinbarung, sondern setze eine solche voraus. Die Arbeitszeit sei durch Auslegung zu ermitteln. Dabei sei die Beschäftigung „in Vollzeit” unter Zugrundelegung einer Fünf-Tage-Woche dahingehend zu verstehen, dass acht Stunden Arbeit täglich, mithin nicht mehr als 40 Wochenstunden geschuldet würden. Der Hinweis im Vertrag auf freie Samstage und Sonntage sage nichts über den Umfang, sondern erlaube lediglich eine flexible Verteilung der Wochenarbeitszeit.

Die Vergütung von Überstunden hätten die Parteien arbeitsvertraglich weder vereinbart noch ausgeschlossen. Anspruchsgrundlage sei insoweit § 612 Abs. 1 BGB – und zwar auch dann, wenn der Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers mehr arbeite, als nach der Vergütungsabrede geschuldet sei. Die objektive Vergütungserwartung resultiere daraus, dass im betreffenden Wirtschaftszweig die Vergütung von Überstunden sogar mit Zuschlägen tariflich vorgesehen sei.


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