Vaterschaftsfeststellung bei Mehrverkehr mit eineiigen Zwillingen

Autor: VorsRiOLG Eberhard Stößer, Stuttgart
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 05/2013
Die Abgabe einer Spermaprobe für eine Abstammungsuntersuchung nach dem whole genome sequencing-Verfahren kann nicht mit Ordnungsmitteln erzwungen werden, um bei eineiigen Zwillingen als mögliche leibliche Väter einen der beiden als Erzeuger festzustellen. In einem solchen Fall hat das Verfahren des whole genome sequencing experimentellen Charakter. Auch eine Entnahme von Blut wäre unter diesen Umständen nicht duldungspflichtig.

OLG Celle, Urt. v. 30.1.2013 - 15 UF 51/06

Vorinstanz: AG Hameln, Urt. v. 2.2.2006 - 15 F 63/02

ZPO § 372a Abs. 1 a.F.

Das Problem:

Es geht um die Feststellung des Vaters eines im Jahr 1999 geborenen Kindes. In der gesetzlichen Empfängniszeit vom 28.3.1998 bis zum 25.7.1998 hatte die Mutter unstreitig sowohl mit dem Beklagten (es handelt sich noch um ein Verfahren nach altem Recht, § 640 Abs. 2 Nr. 1 ZPO a.F.) als auch mit dessen monozygoten (eineiigem) Zwillingsbruder Geschlechtsverkehr. Das AG hatte der Klage am 2.2.2006 stattgegeben und den Beklagten als Vater festgestellt. Zwei unter Einbeziehung auch des Zwillingsbruders erstellte Abstammungsgutachten hatten ergeben, dass sich der Beklagte und sein Zwillingsbruder nicht genetisch unterscheiden, weshalb sich nicht feststellen lasse, welcher der Zwillinge der Vater sei. Die Mutter sei aber frühestens im Mai 1998 schwanger geworden und habe nach ihren Angaben nach dem 15.4.1998 nicht mehr mit dem Zwillingsbruder verkehrt.

Auf die Berufung des Beklagten hatte das OLG in einem ersten Durchgang mit Urteil vom 4.3.2009 die Vaterschaftsfeststellungsklage abgewiesen. Das OLG hatte ein drittes, ungewöhnlich aufwendiges Sachverständigengutachten (Kosten: 94.500 €) eingeholt. Auch dadurch konnte wiederum keine Klärung der Abstammung herbeigeführt werden. Weil die Mutter bei ihrer erneuten Vernehmung nach Auffassung des Senats letztlich keine sichere Kenntnis mehr über die zeitliche Abfolge ihrer Sexualkontakte gehabt habe, lasse sich nicht feststellen, wer der Vater sei.

Auf die Verfassungsbeschwerde des klagenden Kindes hob das BVerfG diese Entscheidung des OLG auf (BVerfG v. 18.8.2010 – 1 BvR 811/09, FamRZ 2010, 1879 = FamRB 2011, 43). Das BVerfG bemängelte eine „unzureichende Sachverhaltsaufklärung”. Das OLG habe u.a. ohne weitere Sachverhaltsermittlung davon abgesehen, andere Stellen um eine Klärung der Abstammung im Wege des whole genome sequencing-Verfahrens zu bitten. Die Sache wurde an das OLG zurückverwiesen.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG hat im zweiten Durchgang die Vaterschaftsfeststellungsklage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils erneut abgewiesen. Es hat sich unter Einholung zweier weiterer Gutachten mit der Klärung der Abstammung im Wege des whole genome sequencing-Verfahrens befasst. Bei diesem Verfahren geht es darum, somatische Mutationen zu erkennen, die vor der Trennung einer einzeln befruchteten Eizelle in zwei sich unabhängig entwickelnde Embryonen (bis etwa zum 10. Tag der Schwangerschaft) stattfinden. Solche somatische Mutationen könnten zu vererbbaren genetischen Unterschiede zwischen den Zwillingen führen (vgl. Rittner, FPR 2011, 372 – zu diesem Fall). Die Sachverständigen waren der Auffassung, für eine weitere Untersuchung sei die Untersuchung von aus Spermaproben gewonnener DNA des Beklagten und dessen Zwillingsbruder notwendig, um eine hinreichend hohe Erfolgsaussicht zu gewährleisten. Beide Zwillingsbrüder hatten daraufhin erklärt, sie seien dazu nicht bereit, im Übrigen habe sich der eine Zwillingsbruder inzwischen sterilisieren lassen. Nach Auffassung des OLG kann aber die Abgabe einer Spermaprobe für eine Abstammungsuntersuchung nach dem whole genome sequencing-Verfahren nicht mit Ordnungsmitteln erzwungen werden, um bei eineiigen Zwillingen als mögliche leibliche Väter einen der beiden als Vater festzustellen. In einem solchen Fall habe dieses Verfahren experimentellen Charakter, es sei in einem solchen Fall noch nie evaluiert worden. Das bisher nur in der Theorie diskutierte Vorgehen entspreche nicht den anerkannten Grundsätzen der Wissenschaft i.S.d. § 372a Abs. 1 ZPO a.F. Auch die Entnahme von Blut sei unter diesen Umständen nicht duldungspflichtig. Nach insgesamt fünf Sachverständigengutachten sei deshalb immer noch offen, ob der Kläger vom Beklagten abstammt. Das OLG lässt unter diesen Umständen dahinstehen, ob die Erzwingung einer Spermaprobe überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre. Bei der als Experiment bezeichneten Untersuchung unter Einschaltung eines kommerziellen Anbieters (für 123.600 €) könnten auch nicht die gesetzlichen Vorschriften über die Sachverständigenauswahl und die Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen (§§ 404 Abs. 1, 404a ZPO) eingehalten werden. Das Gericht habe keine Kontrolle darüber, wer mit Teilen der Untersuchung befasst wird und in wessen Hände die erlangte genetische Information jeweils gelangt.


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