Verfassungsgemäßheit des Anspruchs auf Vergütungsanpassung

Autor: Prof. Dr. Elmar Schuhmacher, RA + FA für Urheber- und Medienrecht, Lungerich Lenz Schuhmacher, Köln
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 01/2014
Um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken darf der Gesetzgeber durch zwingendes Gesetzesrecht die gem. Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, begrenzen. Eine gesetzliche Regelung, die im Urheberrecht einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit vertraglich vereinbarter Vergütungen für die Werknutzung gewährt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

BVerfG, Beschl. v. 23.10.2013 - 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1842/11

Vorinstanz: BGH, Beschl. v. 7.4.2011 - I ZR 19/09, I ZR 20/09

GG Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14, 20 Abs. 1, 28 Abs. 1; UrhG § 32

Das Problem:

In zivilgerichtlichen Verfahren verlangten Übersetzer von dem sie beauftragenden Verlag eine Anpassung ihrer Vergütung, da sie die ursprünglich vereinbarte Vergütung als unangemessen erachteten. Die zum 1.7.2002 in Kraft getretene Regelung des neu gefassten § 32 UrhG gibt Urhebern diese Möglichkeit, Verträge über die Einräumung von Nutzungsrechten und die Erlaubnis zur Werknutzung gerichtlich auf die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung überprüfen zu lassen und im Falle einer Unangemessenheit vom Vertragspartner die Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen zu können, durch die dem Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird. In ihren Verfahren vor dem LG und dem OLG unterlagen beide Übersetzer zunächst, bevor der BGH diese Urteile teilweise aufhob und den Verlag dazu verurteilte, zu einer Anhebung der Absatz- und Nebenrechtsbeteiligung einzuwilligen, Auskunft zu erteilen und eine Nachzahlung zu leisten. Gegen diese Verurteilungen wendet sich der Verlag mit seiner Verfassungsbeschwerde.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das BVerfG weist die Verfassungsbeschwerden zurück.

Begrenzung der Vertragsfreiheit: § 32 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 UrhG sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Der Gesetzgeber sei von Verfassung wegen nicht gehindert, eine Regelung zu treffen, die Urhebern einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle der von ihnen geschlossenen Verträge auf die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung gewährt. Er dürfe die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen, um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken. Insoweit handele es sich nicht um einseitige Eingriffe des Staates in die Freiheitsausübung Privater, sondern um einen Ausgleich, bei dem die Freiheit der einen mit der Freiheit der anderen in Einklang zu bringen sei.

Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum: Für die Herstellung eines solchen Ausgleichs verfüge der Gesetzgeber über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Insbesondere könne er durch spezielle Schutzvorschriften zugunsten eines typischerweise unterlegenen Vertragsteils einen stärkeren Schutz vorsehen, als ihn die Gerichte durch Anwendung der bestehenden Generalklauseln im konkreten Fall gewähren könnten. In einer solchen Lage könne eine Grundrechtsverletzung nur festgestellt werden, wenn eine Grundrechtsposition den Interessen des anderen Vertragspartners in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden könne. In der Regelung des § 32 Abs. 1 Satz 3 UrhG läge keine solche übermäßige Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Verwerter.

Verhältnismäßigkeit: Die vom Gesetzgeber gewählte Lösung bringe die sich gegenüberstehenden Grundrechte in einen schonenden Ausgleich, der Verhältnismäßigkeitsanforderungen gerecht werde. Indem die Vorschriften sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenwirken, würden sie zudem auch die objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und damit zugleich das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG verwirklichen. § 32 UrhG solle insbesondere Urhebern mit schwacher Verhandlungsposition und niedrigem Einkommen helfen, ihr Urheberrecht auch wirtschaftlich zu realisieren. § 32 UrhG könne damit den Schutzzweck des Art. 14 Abs. 1 GG und des Sozialstaatsprinzips für sich in Anspruch nehmen. Zudem erfordere der grundrechtliche Schutz der Privatautonomie aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, dass sich die in einem Vertragsschluss liegende Selbstbestimmung nicht aufgrund des starken Übergewichts einer Partei in eine Fremdbestimmung der anderen Partei verkehre. Der Gesetzgeber sei insoweit in nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass die angemessene Beteiligung der Urheber am wirtschaftlichen Nutzen ihrer Arbeit und Werke (Beteiligungsgrundsatz) nur teilweise gewährleistet sei.

Gerichtliche Kontrolle: Die gerichtliche Angemessenheitskontrolle nach § 32 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 UrhG sei ein geeignetes Mittel, um den vom Gesetzgeber erstrebten Ausgleich zu erreichen. Dem stehe nicht entgegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit” der Auslegung durch die Gerichte überantwortet sei. Er sei im Urheberrecht nicht gänzlich neu, so bspw. im Hinblick auf den Schadensersatz in Höhe einer angemessenen Lizenzgebühr. Auch werde er darüber hinaus in zahlreichen anderen urheberrechtlichen Bestimmungen aufgegriffen und in der Begründung des Gesetzentwurfs würden sich zudem Anhaltspunkte für seine Auslegung finden.


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