VG Berlin, Urt. 8.6.2022 - 38 K 600/20 V

Vertretung „im Willen“ bei Eheschließung verstößt gegen anerkennungsrechtlichen ordre-public-international

Autor: RiAG Alexander Erbarth, Greiz
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 12/2022
1. Eine Entscheidung, mit der einer Eheschließung Anerkennung verschafft werden soll, bei der eine Vertretung in der Willensbildung (und nicht lediglich in der Erklärung) erfolgte, verstößt gegen den ordre public international (§ 109 Nr. 4 FamFG). Der Verstoß wird nicht durch eine nachträglich erteilte Vollmacht geheilt.2. Die Stellvertretung bei der Eheschließung (sog. Handschuhehe) in Form der Vertretung im Willen verstößt gegen den nationalen (kollisionsrechtlichen) ordre public (Art. 6 EGBGB).

GFK Art. 12; AufenthG § 6, § 22, § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 2, § 36a Abs. 1, § 104; EGBGB Art. 6, Art. 11 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Art. 13 Abs. 1, Abs. 4 S. 1; FamFG § 107, § 109 Abs. 1 Nr. 4

Das Problem

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihr ein Visum zum Ehegattennachzug zu erteilen. Sie wurde im Jahre 1993 geboren, ist sudanesische Staatsangehörige und lebt im Sudan. Ihr als Stammberechtigter benannter Ehemann wurde im Jahre 1982 geboren, er ist ebenfalls sudanesischer Staatsangehöriger, verließ den Sudan im Jahre 2008. Bevor er Ende des Jahres 2011 über Ägypten in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und um Schutz nachsuchte, lebte er drei Jahre in Libyen. Unter Ablehnung seines Asylantrags im Übrigen stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 18.6.2012 ein Abschiebungsverbot im Hinblick auf den Sudan fest, das heute als Zuerkennung subsidiären Schutzes fortgilt. Der als Stammberechtigter angegebene Ehemann der Klägerin erhielt eine Aufenthaltserlaubnis, die in der Folgezeit als Aufenthaltserlaubnis für subsidiär Schutzberechtigte verlängert wurde.

Im Asylverfahren gab der Stammberechtigte an, verheiratet zu sein. Im Protokoll vom 15.12.2011 antwortete er auf die Frage nach seiner Ehefrau: „Alija Mohammed E. ..., ca. 13 Jahre alt.“ Er gab zudem an, seine Frau bislang nicht gesehen zu haben. In seiner Anhörung durch das Bundesamt am 25.1.2012 bekundete er: „Ich habe ... an der Trauung selbst nicht teilgenommen, sondern habe einen Vertreter dahin schicken lassen, und zwar war das mein Vater. Die Frau ist eine Cousine von mir, ich weiß nicht genau, sie ist 13 oder 14 Jahre alt, sie ist minderjährig und es geht, dass man sie heiratet, aber selbst nicht vor Ort ist, ich habe sie aber seitdem nicht gesehen. Die lebt immer noch im Sudan. Wir hatten auch noch keine sexuelle Beziehung. Ich werde aber versuchen, Papiere von meiner Frau hierher schicken zu lassen. ... Ich habe auch Bekannte gehabt, die haben mir erzählt, dass mein Vater im Sudan diese Cousine quasi für mich geheiratet hat.“

Die Klägerin stellte am 20.3.2017 einen Antrag auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Sie gab an, am 25.9.2009 geheiratet zu haben und legt zum Nachweis eine Urkunde des sudanischen Personalstandesgerichts Bahry vom 27.7.2016 nebst deutscher Übersetzung sowie des sudanesischen Justizministeriums ebenfalls vom 27.7.2016 nebst englischer Übersetzung vor. Nach einem Hinweis auf die hohen rechtlichen Hürden bei einem Familiennachzug zu Ehegatten, die lediglich über eine Aufenthaltserlaubnis nach Feststellung eines Abschiebungsverbots verfügen, verfolgte die Klägerin diesen Antrag nicht weiter. Am 5.3.2019 beantragte sie erneut die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 13.9.2020 abgelehnt, da die Ehe nicht vor der Flucht des Stammesberechtigten geschlossen worden sei. Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter: Sie beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Khartum (Sudan) vom 13.9.2020 zu verpflichten, ihr ein Visum zum Ehegattennachzug zu erteilen. Sie ist der Ansicht, sie habe mit dem Stammberechtigten wirksam die Ehe geschlossen. Die Beklagte hingegen stellt eine wirksame Eheschließung der Klägerin und des Stammberechtigten in Abrede.

Die Entscheidung des Gerichts

Das VG sieht die Klage als zulässig, aber unbegründet an. Das Gericht verneint einen Anspruch aus § 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 36a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AufenthG bzw. § 104 Abs. 13 AufenthG i.V.m. § 30 Abs. 1 AufenthG a.F., weil die grundlegenden Voraussetzungen zur Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug nicht erfüllt sei: Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie – infolge einer Eheschließung am 25.9.2009 – verheiratet sei. Weitergehend verneint das Gericht einen Anspruch auf Erteilung des Visums bzw. Neubescheidung des Visumsantrags der Klägerin aus § 22 AufenthaltG sowie einen Anspruch der Klägerin auf Nachzug aus § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG. Familienrechtlich interessant ist allein die erstgenannte Anspruchsgrundlage, sind hier die Fragen zu klären, ob überhaupt eine wirksam geschlossene Ehe zwischen der Klägerin und dem Stammberechtigten zustande gekommen ist, bejahendenfalls, ob ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public des § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG die Anerkennung der die Eheschließung bestätigenden Urkunde des sudanesischen Personalstandesgerichts nach § 107 Abs. 1 S. 1, S. 2 FamFG ausschließt oder ob ein Verstoß gegen den kollisionsrechtlichen ordre public des Art. 6 EGBGB einer wirksamen Ehe entgegensteht.

Durch Vorlage der Urkunde des sudanischen Personalstandesgerichts vom 27.7.2016 habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sie mit dem Stammberechtigten eine wirksame Ehe geschlossen habe. Sehe man die Urkunde des Personalstandesgerichts als eine Entscheidung eines ausländischen Gerichts nach § 107 Abs. 1 FamFG an, die grundsätzlich unmittelbare Wirkung im deutschen Rechtskreis entfalte, stehe der Anerkennung der Entscheidung im deutschen Rechtskreis jedenfalls der sog. ordre public international entgegen. Nach § 109 Nr. 4 FamFG sei die Anerkennung der Entscheidung über das Bestehen der Ehe ausgeschlossen, wenn dies zu einem Ergebnis führe, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sei, insbesondere wenn die Anerkennung mit Grundrechten unvereinbar sei. Das sei dann der Fall, wenn die Entscheidung mit den der deutschen Rechtsordnung zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in einer Weise in Widerspruch stehe, dass sie für untragbar gehalten wird (materieller Verstoß), oder auf einem Verfahren beruht, das nach der deutschen Rechtsordnung nicht als ein geordnetes rechtsstaatliches Verfahren angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher Verstoß). Dieser Vorbehalt des ordre public international sei dabei vom nationalen (kollisionsrechtlichen) ordre public zu unterscheiden, der zur Anwendung komme, wenn deutsche Gerichte selbst ausländisches Recht anwenden (Art. 6 EGBGB). Für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung sei auf den – gegenüber dem nationalen ordre public – großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public international abzustellen (BVerwG v. 29.11.2012 – 10 C 11.12, FamRZ 2013, 547 = NVwZ 2013, 427, 429; BGH FamRZ 2018, 1846 m. Anm. Reuß = NZFam 2018, 983 Rz. 15 = FamRB 2018, 481 [Siede]; KG v. 31.5.2016 – 1 VA 7/15, FamRZ 2016, 1585 = NJW-RR 2016, 1161): Mit dem ordre public international sei ein ausländisches Urteil nicht schon dann unvereinbar, wenn das deutsche Gericht – hätte es das Verfahren entschieden – zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre; maßgeblich sei vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stehe, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint. Auch im Hinblick auf den Grundsatz der Anerkennung ausländischer Entscheidungen ist der Vorbehalt des ordre public international restriktiv zu handhaben.

Nach diesen Grundsätzen verstoße die – unterstellte – Entscheidung des Personalstandesgerichts gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public international. Mit der Entscheidung des Personalstandesgerichts solle einer Eheschließung Anerkennung verschafft werden, die zur Überzeugung der erkennenden Einzelrichterin dadurch zustande gekommen sei, dass sich der Stammberechtigte in seinem Willen, die Ehe mit der Klägerin (und nicht einer anderen Frau) schließen zu wollen, habe vertreten lassen. Anerkennungsfähig sei indes lediglich eine Vertretung in der Erklärung (sog. Handschuhehen; s. dazu BGH v. 29.9.2021 – XII ZB 309/21, FamRZ 2022, 93 m. Anm. Krömer = FamRB 2022, 46 [Finger] = NJW-RR 2022, 293). Dem liege zugrunde, dass prägendes Merkmal der Eheschließung der freie Entschluss beider Eheleute sei (Uhle in Epping/Hillgruber, BeckOK/GG, 50. Edition, Stand: 15.2.2022, Art. 6 GG Rz. 6 m.w.N.).

Maßgeblich für die Entscheidungsbildung des Gerichts seien die Angaben des Stammberechtigten bei den beiden Anhörungen gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. So habe er berichtet, in Abwesenheit geheiratet zu haben. Dies stehe im Einklang mit seinen jetzigen Angaben und den Angaben der Klägerin. Die Altersangaben des Stammberechtigten bezüglich seiner Ehefrau und die Angaben der Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin, dass es sich bei dieser um die Schwester der vom Stammberechtigten benannten Frau handele, wiesen darauf hin, dass sich der Stammberechtigte damit einverstanden erklärt hatte, eine seiner Cousinen zu heiraten und gar nicht gewusst habe, auf welche Cousine die Wahl des Vertreters falle.

Es könne dahinstehen, ob der Anerkennung der Ehe im deutschen Rechtskreis eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht entgegenstehe. Anhaltspunkte hierfür lägen vor. Nach der daher durch das VG selbst vorzunehmenden Prüfung einer wirksamen Eheschließung sei es nicht davon überzeugt, dass die Klägerin und der Stammberechtigte wirksam verheiratet sind. Dass nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB vorrangig zu Art. 11, Art. 13 Abs. 1 EGBGB zu prüfende Personalstatut des Art. 12 GFK komme nicht zur Anwendung. Weder der Klägerin selbst noch dem Stammberechtigten sei die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Es könne zu dem sowohl offenbleiben, ob libysches oder sudanesisches Eheschließungsrecht anzuwenden sei und ob danach die nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB erforderliche Ortsform oder die nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB alternativ anwendbare Form des Geschäftsstatuts, hier des Eheschließungsstatuts (Art. 13 Abs. 1 EGBGB), eingehalten worden sei, woran erhebliche Zweifel bestünden, als auch, ob die Ehe insgesamt nach sudanesischem oder libyschem Eheschließungsrecht wirksam geschlossen worden sei. Jedenfalls verstießen die Anwendung der ausländischen Eheschließungsnormen gegen den ordre public des Art. 6 EGBGB. Es liege nach den zuvor gemachten Ausführungen schon ein Verstoß gegen den großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public international vor, weshalb die Stellvertretung bei der Eheschließung (sog. Handschuhehe) in Form der Vertretung im Willen auch gegen den nationalen (kollisionsrechtlichen) ordre public verstoße (Lorenz in Hau/Poseck, BeckOK/BGB, 62. Edition, Stand 1.5.2022, Art. 6 EGBGB Rz. 25 m.w.N.).


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