Voraussetzungen des vereinfachten schriftlichen Verfahrens bei Übertragung der gemeinsamen Sorge

Autor: RiAG Dr. Stephan Hammer, Berlin
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 04/2014
1. Werden Aspekte sichtbar, die für eine Kindeswohlprüfung von Relevanz sind, kann nicht im vereinfachten schriftlichen Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG entschieden werden, sondern es ist ein reguläres Sorgerechtsverfahrens nach § 155a Abs. 4 FamFG durchzuführen.2. Entscheidet das Amtsgericht im vereinfachten schriftlichen Verfahren, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen, führt dies regelmäßig zur Zurückverweisung, wenn ein Beteiligter dies beantragt.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.1.2014 - 1 UF 356/13

Vorinstanz: AG Bad Schwalbach, Beschl. v. 13.9.2013 - 1 F 519/13

BGB § 1626a; FamFG §§ 69, 155a

Das Problem:

Ein Vater beantragte die Übertragung der gemeinsamen Sorge für ein 6-jähriges Kind. Er habe die Vaterschaft bereits bei Geburt des Kindes anerkannt und lebe mit der Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Das AG übersandte der Mutter den Antrag ohne weitere Hinweise oder Belehrungen zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.

In ihrer zweiseitigen Stellungnahme erklärte die Mutter zunächst, sie habe „im Grunde genommen” nichts gegen die Übertragung der gemeinsamen Sorge. Anschließend führte sie aus, dass sie bei dem Antragsteller einen Teilbereich der Wohnung gemietet habe und dessen Untermieterin sei. Es bestünden getrennte Verhältnisse. Sie schlafe im Kinderzimmer bzw. im Wohnzimmer auf dem Sofa. Auch hänge das Kind sehr an ihr. Sie könne „jetzt noch so vieles Schreiben”, aber sie wolle „das ganze nicht auf dem kleinem seinem Rücken austragen, nur weil (der Antragsteller) nicht mit mir reden tut. ... Ich möchte einfach nur das es meinem sohn gut geht und wenn es heist das ich bei diesem schreiben mich zurück halte dann tu ich dies den das wohlergehen meines sohnes ist mir wichtiger als mein eigenes was man von anderen nicht behaupten kann ... ich hoffe das schreiben hilft diese sache zu klären.”

Das AG übersandte dem Antragsteller das Schreiben zur Stellungnahme und übertrug – nachdem dieser sich nicht äußerte – ihm sodann die gemeinsame Sorge mit der Mutter. Die – nunmehr anwaltlich vertretene – Mutter legte hiergegen Beschwerde ein und beantragt, den Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das AG zurückzuverweisen.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG gibt der Beschwerde statt und verweist das Verfahren an das AG zurück. Eine Entscheidung im vereinfachten schriftlichen Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG setze voraus, dass die Vermutungsregelung des § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB greift. Danach wird vermutet, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht, wenn der andere Elternteil keine Gründe vorträgt, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich sind. Diese Voraussetzungen liegen nach Ansicht des OLG im vorliegenden Fall nicht vor. Die Vermutungsregel müsse behutsam angewendet werden. Nach wie vor bedürfe es für die gemeinsame Sorge einer tragfähigen sozialen Beziehung zwischen den Eltern, eines Mindestmaßes an Übereinstimmung sowie an Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit. Aus dem Vorbringen der Mutter ergäben sich vorliegend Anhaltspunkte dafür, dass es hieran fehlen könnte, so dass es einer Überprüfung der Vereinbarkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge mit dem Kindeswohl in einem regulären Verfahren nach § 155a Abs. 4 FamFG bedurft hätte. Da es sich hierbei um aufwendige Ermittlungen handele, deren Umfang im Einzelnen noch gar nicht abzusehen sei, sei das Verfahren auf Antrag der Mutter nach § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG an das AG zurückzuverweisen.


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