Wann gibt es Schmerzensgeld für ein Schleudertrauma?

02.09.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
Schleudertrauma,HWS,Unfall,medizinisches Gutachten Schleudertrauma: Der Streit mit den Versicherungen © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Kausalität: Unfallgeschädigte, die ein Schmerzensgeld wegen eines Schleudertraumas einfordern wollen, müssen nachweisen, dass der Unfall ursächlich für die Verletzung ist. Dies geschieht z.B. durch Bestätigungen des behandelnden Arztes und medizinische Gutachten.

2. Umfang: Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt u.a. davon ab, wie schwer die Folgen des Unfalls sind, wie stark die Schmerzen sind und wie lange der Geschädigte arbeitsunfähig ist. Ein Mitverschulden wirkt sich anspruchsmindernd aus.

3. Verjährung: Ein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen eines Schleudertraumas verjährt innerhalb von drei Jahren. Die Frist läuft ab dem Ende des Jahres, in dem der Unfall stattgefunden hat.
Vor Jahren wurde zeitweise nach praktisch jedem Verkehrsunfall Schmerzensgeld für ein Schleudertrauma geltend gemacht. Schließlich wurde es den Versicherungen zu bunt, und sie hielten dagegen – mit Gutachten, nach denen es jedenfalls bei geringen Aufprallgeschwindigkeiten gar kein Schleudertrauma geben kann. Es wurden medizinische Gutachter unter Vertrag genommen, die meist ohne Begutachtung des Patienten nur anhand von Unfallfotos Ansprüche in Serie abschmetterten. Manch ein Gutachter lebte praktisch von diesem Thema. Wie stehen heute die Gerichte dazu?

Was ist ein HWS-Schleudertrauma?


Meist entsteht ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) bei einem Autounfall, wenn es zu einem Heck- oder Seitenaufprall kommt. Bei solchen Unfällen wird der Hals-/Nacken-/Kopfbereich zuerst ruckartig gebeugt und dann überdehnt und überstreckt. Davon sind meist Muskeln und Bindegewebe betroffen. Ein Schleudertrauma kann Schmerzen, Verspannungen und Fehlhaltungen zur Folge haben. In schweren Fällen sind auch Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen sowie Schwindelanfälle möglich. Hat der Patient bereits eine Vorerkrankung der Wirbelsäule, kann es auch zu schlimmeren Folgen kommen.

Was sind die Voraussetzungen für Schmerzensgeld bei einem Schleudertrauma?


Schmerzensgeld wird für nicht-materielle Schäden gezahlt, also zum Beispiel für Schmerzen, Leiden, Einschränkungen im Alltag oder wiederholt nötige Operationen. Es kann unter folgenden Voraussetzungen verlangt werden:

- Die Schuld des Unfallgegners am Unfall steht fest.
- Durch diesen Unfall wurden Verletzungen verursacht.
- Diese Verletzungen sind ursächlich für die Schmerzen bzw. Einschränkungen.

Wie wird die Kausalität zwischen Unfall und Schleudertrauma nachgewiesen?


Dass der Unfall für die erlittenen Verletzungen und für das Schleudertrauma verantwortlich war, kann durch Bestätigungen des behandelnden Arztes und medizinische Gutachten nachgewiesen werden. Wichtig ist es, sofort nach dem Unfall zum Arzt zu gehen und sich Verletzungen bestätigen zu lassen. Beschwerden können sich nämlich auch erst nach einigen Tagen zeigen. Hilfreich kann ein sogenanntes Schmerztagebuch sein, in dem man selbst über Schmerzen und ihre Intensität mit Datum Buch führt. Auch eine Krankschreibung sollte nachweisbar sein.

Versicherungen und Gerichte berücksichtigen darüber hinaus auch Faktoren wie die Aufprallgeschwindigkeit beim Unfall, das Tempo und die Geschwindigkeitsveränderung der Autos beim Zusammenstoß und die Sitzposition der Insassen. Ihr Rechtsanwalt kann Sie dazu beraten, welche Gutachten im konkreten Fall eingeholt werden sollten. Diese verursachen jedoch auch hohe Kosten, die man selbst zahlen muss, wenn man den Prozess verliert.

Fall: Bloße Möglichkeit eines Schleudertraumas reicht nicht aus


Das OLG Brandenburg wies die Klage eines Mannes auf Schadensersatz und Schmerzensgeld ab. In diesem Fall hatte ein Sachverständiger festgestellt, dass der Mann möglicherweise durch den Unfall eine psychisch bedingte Distorsion der Halswirbelsäule erlitten habe. Der Kläger forderte über 30.000 Euro Schadensersatz, da ihm durch die Beeinträchtigungen ein Bonus seines Arbeitgebers entgangen sei. Das Gericht wies die Klage ab: Der Mann habe nicht nachgewiesen, dass das Beschwerdebild biomechanisch ursächlich auf den Verkehrsunfall zurückzuführen sei. Die bloße Möglichkeit reiche nicht aus (Urteil vom 17.5.2018, Az. 12 U 169/16).

Wann gibt es meist kein Schmerzensgeld wegen eines Schleudertraumas?


Besonders bei Unfällen mit geringem Sachschaden argumentiert die Versicherung des Unfallgegners oft, dass es sich um einen Unfall mit geringer Aufprallwucht gehandelt habe. Deswegen sei es von vornherein gar nicht möglich, dass ein Schleudertrauma aufgetreten sein könne. Wenn die Geschwindigkeitsänderung durch den Aufprall nicht mehr als zehn km/h betrage, sei ein Schleudertrauma generell ausgeschlossen. Dies ist die sogenannte "Harmlosigkeitsgrenze".

Diese Argumentation hat dazu geführt, dass die Versicherungen gerade bei vielen Unfällen im Stadtverkehr eine Zahlung vermeiden konnten. In vielen Gerichtsverfahren wurden sogenannte biomedizinische Gutachten von rechtsmedizinischen Instituten vorgelegt, die zwar den Patienten gar nicht untersucht hatten, aber aufgrund von Unfallfotos entschieden, dass ein Schleudertrauma ganz unmöglich war. So wurde praktisch davon ausgegangen, dass viele Patienten Simulanten waren. Diese Art der Diagnose ist jedoch auch in medizinischen Kreisen durchaus umstritten.

Gibt es bei geringem Tempo nie Schmerzensgeld für ein Schleudertrauma?


2003 entschied der Bundesgerichtshof, dass man bei der Frage, ob ein Auffahrunfall eine Verletzung der Halswirbelsäule verursacht habe, immer auf den Einzelfall abstellen müsse. Man könne nicht einfach pauschal unterstellen, dass bei Unfällen unterhalb einer bestimmten Geschwindigkeit kein Schleudertrauma möglich sei. Es hänge nicht allein von der Geschwindigkeit ab, ob ein Unfall für eine Verletzung ursächlich sei, sondern auch von anderen Faktoren wie der Sitzposition.

Der BGH meinte, dass ein biomedizinisches Gutachten über die Geschwindigkeitsänderung im konkret verhandelten Fall nicht weiter zur Aufklärung beitragen könne. Stattdessen berücksichtigten die Richter die Aussagen der behandelnden Ärzte. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Patient tatsächlich durch den Unfall verursachte Beschwerden hatte. Für diese sei Schmerzensgeld zu zahlen (Urteil vom 28.1.2003, Az. VI ZR 139/02).

Der Bundesgerichtshof bestätigte seine Rechtsprechung 2008 im Fall eines Frontalaufpralls. Auch hier kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Vorinstanz nicht verpflichtet gewesen sei, ein Gutachten über die "Aufprallgeschwindigkeit" einzuholen. Ausreichend sei die Aussage des behandelnden Arztes und einer Unfallzeugin. Auch bei einem Frontalzusammenstoß könne eine HWS-Verletzung mit Schleudertrauma nicht pauschal ausgeschlossen werden, nur weil der Unfall mit geringer Geschwindigkeit passiert sei (Urteil vom 8.7.2008, Az. VI ZR 274/07).

Fall: Simultanes Trauma bei Ehepartnern


2011 beschäftigte sich das Amtsgericht Köln mit dem Unfall eines Ehepaares. Ein anderes Fahrzeug war auf das Heck ihres Autos aufgefahren. Noch am Unfalltag wurde bei beiden ein Schleudertrauma festgestellt. Die gegnerische Versicherung bezahlte zwar den Fahrzeugschaden, verweigerte aber die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld hinsichtlich des Schleudertraumas. Die festgestellte Aufprallgeschwindigkeit habe nur neun bis 11 km/h betragen.
Das Gericht erklärte, dass nach der oben zitierten BGH-Entscheidung die Geschwindigkeit allein nicht mehr entscheidend sein könne. Es hatte einen medizinischen Sachverständigen angehört, der die Kläger selbst untersucht hatte. Dieser hatte sämtliche Faktoren berücksichtigt – nicht nur Unfallsituation und Geschwindigkeit, sondern auch Alter und Vorerkrankungen des Ehepaares. Das Gericht führte deren Beschwerden auf den Unfall zurück und sprach beiden ein Schmerzensgeld von 600 bzw. 700 Euro zu (Urteil vom 17.08.2011, Az. 261 C 289/09).

Wie hoch ist das Schmerzensgeld bei einem Schleudertrauma?


Wie viel Schmerzensgeld gezahlt werden muss, hängt unter anderem davon ab, wie schwer die Folgen des Unfalls sind, von der Intensität der Schmerzen, von den Spätfolgen und zum Beispiel von der Dauer einer Arbeitsunfähigkeit. Ein HWS-Trauma kann Schmerzen und Verspannungen verursachen, die nach vier Wochen wieder verschwunden sind. Genauso kann es aber auch zu erheblichen Bewegungsbeeinträchtigungen und dauerhaften Beschwerden führen. Das Amtsgericht München hielt in einem Urteil 2.000 Euro Schmerzensgeld für angemessen. Die Klägerin hatte nach einem Heckaufprall monatelang starke Schmerzen gehabt. Sie war wegen des Schleudertraumas sechs Wochen lang krankgeschrieben gewesen (Urteil vom 29.01.2013, Az. 332 C 21014/12).

Bei einer Arbeitsunfähigkeit von einer Woche ist mit einem niedrigeren dreistelligen Betrag zu rechnen. Bei mittelschweren Schmerzen mit Bewegungseinschränkungen oder Taubheitsgefühl von Gliedmaßen gibt es meist zwischen 500 und 2.000 Euro. Höhere vierstellige Beträge werden meist eher bei einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit zugesprochen. Eine Orientierung bieten sogenannte Schmerzensgeldtabellen. Diese zeigen jedoch nur Beispiele, da die Gerichte jeden Fall individuell beurteilen.

Wie beeinflusst ein Mitverschulden den Anspruch auf Schmerzensgeld?


Ein Mitverschulden des Geschädigten wirkt sich mindernd auf den Anspruch auf Schmerzensgeld aus. Dazu gehört auch das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes. Dieses verringert den Schmerzensgeldanspruch für ein Schleudertrauma, wenn die Verletzungen mit angelegtem Sicherheitsgurt geringer ausgefallen oder vermieden worden wären (BGH, Urteil vom 28.2.2012, Az. VI ZR 10/11).

Welche Fristen sind bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld zu beachten?


Unfallgeschädigte können nicht zeitlich unbegrenzt Ansprüche geltend machen. So verjährt ein Anspruch auf Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB und damit innerhalb von drei Jahren. Die Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Unfall stattgefunden hat.

Nochmals kurz gefragt und kurz geantwortet



1. Was ist ein Schleudertrauma?
Eine Nackenverletzung, die meist durch starke abrupte Bewegungen wie bei einem Autounfall verursacht wird.

2. Wann besteht ein Anspruch auf Schmerzensgeld?
Bei nachgewiesener Verletzung durch Fremdverschulden (z.B. bei einem Verkehrsunfall).

3. Welche Nachweise sind notwendig?
Ärztliche Gutachten und Dokumentation der Verletzung sowie Unfallhergang.

4. Wie hoch kann das Schmerzensgeld sein?
Die Höhe variiert stark und hängt von der Schwere der Verletzung und der Dauer der Beeinträchtigung ab. Typischerweise zwischen wenigen hundert und mehreren tausend Euro.

5. Wie wird der Anspruch geltend gemacht?
Durch einen spezialisierten Anwalt, der den Anspruch gegenüber der gegnerischen Versicherung durchsetzt.

6. Gibt es eine Verjährungsfrist?
Ja, drei Jahre ab Ende des Jahres, in dem der Unfall passiert ist.

Praxistipp zum HWS-Schleudertrauma


Ein Schmerzensgeld wegen eines Schleudertraumas kann heute in der Regel nicht mehr mit Verweis auf die geringe Aufprallgeschwindigkeit allein verweigert werden. Auch bei nachgewiesenen Schmerzen ohne medizinisch belegtes Schleudertrauma ist grundsätzlich ein Schmerzensgeld nicht ausgeschlossen. Eine Beratung durch einen Fachanwalt für Verkehrsrecht kann Betroffenen helfen, die Erfolgschancen einer Klage gegen die gegnerische Versicherung abzuwägen.

(Wk)


 Günter Warkowski
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
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