Zulässigkeit verdeckter Videoüberwachung

Autor: RA, FAArbR Bahram Aghamiri, WZR Wülfing Zeuner Rechel, Hamburg
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 12/2012
Das aus einer verdeckten Videoüberwachung erworbene Beweismaterial unterliegt nicht allein deshalb einem prozessualen Beweisverwertungsverbot, weil es in öffentlich zugänglichen Räumen gewonnen wurde, ohne dass der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen kenntlich gemacht worden wären.

BAG, Urt. v. 21.6.2012 - 2 AZR 153/11

Vorinstanz: LAG Köln, Urt. v. 18.11.2010 - 6 Sa 817/10
Vorinstanz: ArbG Köln

GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1; BGB § 626; BetrVG § 102 Abs. 1; BDSG §§ 6b Abs. 1, Abs. 2, 32

Das Problem:

Nach Auftreten von Inventurdifferenzen ließ ein Einzelhandelsunternehmen in seinen Filialräumlichkeiten für einen Zeitraum von drei Wochen verdeckte Videokameras installieren. Nach Beendigung der Überwachungsmaßnahme wertete die Geschäftsleitung gemeinsam mit einem Betriebsratsmitglied das Filmmaterial aus. Darauf war zu erkennen, dass die Filialleiterin in mindestens zwei Fällen Zigarettenschachteln entwendet hatte. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Geschäftsleitung das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitnehmerin fristlos und hilfsweise fristgemäß. Nach Klageabweisung durch das ArbG hat das LAG festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche, wohl jedoch durch die ordentliche Kündigung beendet worden ist.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das BAG hob die Entscheidung auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das LAG zurück. Es komme im vorliegenden Fall allein darauf an, ob die heimlich gewonnen Videoaufzeichnungen als Beweismittel verwertet werden dürften. Diese Frage könne vom BAG nach den bisherigen Feststellungen des LAG jedoch noch nicht beantwortet werden.

Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen: Zwar folge ein Beweisverwertungsverbot noch nicht aus einer Verletzung des Gebots in § 6b Abs. 2 BDSG, jedoch komme ein solches vorliegend wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmerin in Betracht. § 6b BDSG regle die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen. Die Bestimmung gelte auch für Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen. Unerheblich sei, ob Ziel der Beobachtung die Allgemeinheit oder die an Arbeitsplätzen in diesen Verkaufsräumen beschäftigten Arbeitnehmer seien. § 6b BDSG normiere zunächst kein uneingeschränktes Verbot der verdeckten Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume. Vielmehr sei § 6b BDSG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass auch eine verdeckte Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume im Einzelfall zulässig sein könne.

Fehlende Kennzeichnung: Unerheblich sei in diesem Zusammenhang auch, ob die Videoüberwachung durch geeignete Maßnahmen erkennbar gemacht werde. Zwar schreibe § 6b Abs. 2 BDSG vor, dass der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle bei Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen seien. Jedoch sei das Kennzeichnungsgebot weder in § 6b Abs. 1 BDSG noch in § 6b Abs. 3 BDSG als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verarbeitung oder Nutzung von nach § 6b Abs. 1 BDSG erhobenen Daten aufgeführt. Soweit die verdeckte Videoüberwachung das einzige Mittel zur Überführung von Arbeitnehmern sei, die der Begehung von Straftaten konkret verdächtig seien, könne somit eine heimliche Videoaufzeichnung auch in öffentlich zugänglichen Räumen nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG zulässig sein, ohne dass das Kennzeichnungsgebot beachtet werden müsse.

Verwertungsinteresse: Jedoch habe das Gericht wegen des aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verfassungsmäßig garantierten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung anhand einer Güterabwägung zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergäben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar seien (BVerfG v. 13.2.2007 – 1 BvR 421/05, BVerfGE 117, 202). Das Interesse an der Verwertung der einschlägigen Daten und Erkenntnisse habe nur dann höheres Gewicht, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzukämen, die ergäben, dass das Verwertungsinteresse trotz der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung überwiege. Allein das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht nicht aus. Die weiteren Aspekte müssten gerade eine bestimmte Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als schutzbedürftig qualifizieren. Die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers sei dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestehe, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft seien, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzig verbleibende Mittel darstelle und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig sei (BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, BAGE 105, 356). Die bisher getroffenen Feststellungen des LAG reichten nicht aus, die vorbeschriebene Güterabwägung vornehmen zu können.

Zustimmung des Betriebsrats: Der Umstand, dass der Betriebsrat der Überwachungsmaßnahme zugestimmt habe, vermöge die Feststellung der den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin rechtfertigenden Tatsachen nicht zu ersetzen. Die Betriebsparteien könnten die Grenzen eines rechtlich zulässigen Eingriffs nicht zu Lasten der Arbeitnehmer verschieben.


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