Schmerzensgeld: Wer hat Anspruch und auf wie viel?
05.12.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Schmerzensgeld soll den immateriellen Schaden ausgleichen, den jemand erlitten hat. Damit sind zum Beispiel Schmerzen körperlicher oder seelischer Art gemeint, Einschränkungen der Beweglichkeit oder der Lebensqualität. Das Schmerzensgeld hat dabei nicht nur die Funktion eines Ausgleichs erlittener Schmerzen, sondern soll dem Verletzten auch eine Genugtuung verschaffen. Die wichtigste gesetzliche Regelung dazu ist § 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Es gibt jedoch viele Missverständnisse darüber, wann ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht – und in welcher Höhe. Klare Regelungen zur Höhe des Schmerzensgeldes gibt es nicht.
Zwischen den Ansprüchen auf Schadenersatz und Schmerzensgeld muss man genau unterscheiden. Der Schadenersatz stellt einen Ausgleich für einen Schaden dar, der ohne Weiteres in Geld beziffert werden kann. Beispiele: Die Reparaturkosten für einen Unfallschaden am Auto oder die Kosten für vier Wochen Krankengymnastik. Allerdings sind manche Schäden schwerer zu beziffern. Dies können etwa körperliche Schmerzen durch eine Verletzung sein, eine dauerhafte Beeinträchtigung, weil jemand ein Sinnesorgan oder eine Hand nicht mehr richtig benutzen kann, der Verlust an Lebensqualität, weil ein Hobby oder der Beruf nicht mehr ausgeübt werden können, oder seelische Leiden durch eine Behinderung. Der Gesetzgeber will jedoch sicherstellen, dass auch solche "immateriellen" Schäden ausgeglichen und gesühnt werden. Dafür gibt es das Schmerzensgeld.
Ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht grundsätzlich bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung. Anerkannt ist jedoch auch das Schmerzensgeld in Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wie etwa für die unerlaubte Verbreitung von Fotos einer Person. Ein Gericht kann Schmerzensgeld gewähren, wenn eine andere Person die Verletzung des Geschädigten verschuldet hat. In anderen Fällen ist kein Verschulden im engeren Sinne nötig – zum Beispiel haftet der Halter eines Autos, mit dem ein Unfall verursacht wurde, auch, wenn er selbst nicht gefahren ist.
Das Gesetz spricht nur von einer "billigen Entschädigung in Geld". "Billig" bedeutet so viel wie angemessen. Allerdings geht es hier ja gerade um sogenannte immaterielle Schäden, die man nicht in Geld beziffern kann. Daher ist es oft schwierig, einen angemessenen Betrag festzulegen. Dabei berücksichtigt man häufig folgende Kriterien:
- Art und Dauer von Schmerzen (bzw. auch Dauer eines Krankenhausaufenthaltes, einer Beweglichkeitseinschränkung, des Tragens einer Halskrause),
- Intensität eines medizinischen Eingriffs (war eine Operation nötig, um die Gesundheit wiederherzustellen? Womöglich mehrere Operationen?),
- Folgeschäden (körperlich und psychisch),
- wie stark ist das Unfallopfer in seiner Lebensführung beeinträchtigt?
- Mitverschulden des Verletzten.
Eine spezielle Berechnungsformel gibt es nicht. Die Gerichte orientieren sich häufig an sogenannten Schmerzensgeldtabellen. Diese fassen die Beträge aus früheren Gerichtsurteilen zusammen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Kein Gericht ist fest an die Urteile anderer Gerichte gebunden und jeder Fall ist unterschiedlich. Daher können auch in vermeintlich ähnlichen Fällen sehr unterschiedliche Beträge herauskommen.
Einige Schmerzensgeldtabellen listen bis zu zehn verschiedene Arten von Beinbrüchen auf, mit Beträgen zwischen 2.000 und 10.000 Euro. Trotzdem kann jeder individuelle Fall anders beurteilt werden.
Beispiel: Schleudertrauma
Geschädigte erhalten oft nach einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule etwa 600 Euro. Allerdings hat das Amtsgericht München einer bei einem Autounfall verletzten Frau 2.000 Euro zugesprochen, weil sie wochenlang unter Schmerzen litt und arbeitsunfähig war (Urteil vom 29.1.2013, Az. 332 C 21014/12). Hier gibt es jedoch verschiedene mögliche Fallkonstellationen. Näheres zum Thema finden Sie hier:
Wann gibt es Schmerzensgeld für ein Schleudertrauma?
Beispiel: Amputation
An einer Fußgängerfurt wurde ein 11-jähriges Mädchen von einer U-Bahn erfasst und verlor ein Bein. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gestand ihr 80.000 Euro Schmerzensgeld zu. Zusätzlich erhielt sie eine lebenslange monatliche Schmerzensgeldrente von 228 Euro (Urteil vom 30.8.2013, Az. 1 U 68/12).
Beispiel: Wachkoma nach Tötungsversuch
Ein 35-jähriger Familienvater war auf einer Betriebsfeier mit einem Arbeitskollegen in Streit geraten. Anschließend wurde er von diesem absichtlich mit dem Auto überfahren. Er erlitt neben vielen anderen Verletzungen ein Schädel-Hirn-Trauma und fiel dauerhaft ins Wachkoma. Eine Heilung war nicht absehbar, ein selbstbestimmtes Leben nicht mehr möglich. In diesem Fall wurde ein für deutsche Verhältnisse außergewöhnlich hohes Schmerzensgeld von 500.000 Euro zugesprochen. Das Gericht erklärte, dass eine schlimmere Gesundheitsschädigung eigentlich gar nicht mehr denkbar sei (Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 2.9.2014, Az. 12 U 50/14).
Beispiel: Fehlerhafte Geburt
Bei einer Geburt kam es durch einen grob schuldhaft vom Arzt verzögerten Notkaiserschnitt zu einer Sauerstoff-Unterversorgung des Kindes. Dieses war daher von Geburt an körperlich und geistig schwerst behindert, blind, lag im Wachkoma und musste künstlich beatmet werden. Das Oberlandesgericht Jena gestand hier einen "herausragenden" Schmerzensgeldbetrag von 600.000 Euro für einen Schaden zu, wie er schlimmer nicht mehr denkbar sei (14.8.2009, Az. U 459/09).
Beispiel: Überflüssige Bandscheiben-Operation
Ohne ausreichende ärztliche Aufklärung wurde einem Mann eine damals neuartige Bandscheibenprothese eingesetzt. Danach litt er unter Rückenschmerzen. Nach Ansicht anderer Ärzte wäre die Operation gar nicht nötig gewesen. Das Oberlandesgericht Hamm sprach ihm 20.000 Euro Schmerzensgeld zu (Az. 3 U 54/14).
Weitere Beispiele:
Einem Schulkind gestand das Amtsgericht Bonn 800 Euro Schmerzensgeld für einen Armbruch beim Sport zu. Der Arm des Mädchens war aus der Gelenkpfanne gesprungen, sie fiel drei Wochen in der Schule aus (Az. 11 C 478/05). Das Landgericht Wuppertal berechnete 5.500 Euro bei einer Oberarmfraktur mit dauerhafter Einschränkung der Drehbarkeit von Unterarm und Handgelenk (Az. 17 O 98/04). 28.000 Euro gab es 2005 vom OLG Celle bei einer Verletzung des Augapfels mit dauerhafter Sehschädigung (Az. 14 U 17/05). Ein ärztlicher Behandlungsfehler im Rahmen einer Bandscheiben-OP führte dazu, dass ein junger Mann dauerhaft keine schweren Gewichte mehr heben konnte, Schmerzen beim Sitzen hatte und sein linkes Bein taub wurde. Er erhielt 80.000 Euro Schmerzensgeld (LG Bielefeld, Az. 4 O 163/07). 147.000 Euro gestand ein Gericht einem Verbrennungsopfer zu, das unzählige Operationen über sich ergehen lassen musste und schließlich zu 90 % schwerbehindert war (LG Dortmund, Az. 21 O 370/04).
In bestimmten Ausnahmefällen erhalten auch nahe Angehörige eines Menschen, der zum Beispiel bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, Schmerzensgeld. Dazu müssen sie einen sogenannten Schockschaden nachweisen. Es muss also durch den Todesfall zu einem nachweisbaren Schock oder Trauma, also zu einem eigenen Gesundheitsschaden, gekommen sein. Beispiel: Das Landgericht Düsseldorf gestand einem Elternpaar, das den Tod seines 15-jährigen Sohnes mit ansehen musste, 20.000 Euro Schmerzensgeld zu. Der Junge war von der Pumpe eines Hotelpools angesaugt worden und die Eltern hatten ihn nicht befreien können (Az. 3 O 170/04). Näheres zum Schockschaden:
Psychischer Schock: Wann gibt es Schmerzensgeld?
Das Oberlandesgericht Celle musste sich mit den Folgen einer Protestaktion gegen einen Castortransport befassen. Der spätere Kläger hatte mit einigen anderen Demonstranten versucht, nahe der Transportstrecke ein Transparent aufzuhängen. Einige Polizeibeamte wollten dies verhindern. Der Kläger wollte den Beamten entkommen und kletterte auf eine Kiefer. Schließlich stürzte er ab – aus einer Höhe von vier Metern. Dabei brach er sich einen Rückenwirbel. Der Demonstrant sah die Schuld für seine Verletzungen bei der Polizei und verklagte das Bundesland auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das Gericht wies die Klage ab. Eine Pflichtverletzung der Polizeibeamten sei nicht feststellbar (Urteil vom 7.4.2016, Az. 16 U 61/15).
Das Oberlandesgericht Karlsruhe gestand einem Geschädigten Ansprüche aus Amtshaftung zu. Einige Polizisten hatten in einem Stadtpark nach dem Täter eines gerade begangenen Raubüberfalls gefahndet. Einige Jugendliche liefern davon. Ein Hundeführer wollte die Flüchtigen festnehmen und ließ seinen Diensthund los, der einen der Jugendlichen stoppte und ihm eine Vielzahl von Bisswunden an beiden Unterarmen, am rechten Oberarm, am Rücken und an den Beinen zufügte. Später stellte sich heraus, dass die Jugendlichen mit dem Raub nichts zu tun hatten. Der Verletzte konnte tagelang seine Hände nicht bewegen und musste wochenlang seine Wunden versorgen lassen. Das Gericht gestand dem Polizeibeamten zu, dass er den Flüchtenden habe aufhalten dürfen. Es gäbe aber keine vernünftige Erklärung für eine derart große Anzahl an Bisswunden. Ein Polizeihundeführer müsse seinen Hund soweit unter Kontrolle haben, dass dieser nicht willkürlich zubeiße. Da die Verhältnismäßigkeit hier nicht gewahrt war, musste das Land Baden-Württemberg 2.500 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld zahlen (Urteil vom 18.6.2015, Az. 9 U 23/14).
Ein bergab fahrender Rodler in Bayern kollidierte mit einem bergauf gehenden Bergwanderer. Dieser zog sich diverse Verletzungen zu – etwa einen Kreuzbandriss und mehrere Knochenbrüche. Folge waren dauerhafte Bewegungseinschränkungen des Knies und bewegungsabhängige Beschwerden bei längerem Gehen und Stehen. Zwischen beiden Seiten wurde darum gestritten, wer an dem Unfall schuld war. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Rodler hätte vorsichtiger sein müssen. Ein Sachverständiger schloss aus den Verletzungen und auch Faktoren wie aufgewirbeltem Schnee auf eine deutlich überhöhte Geschwindigkeit für einen Schlitten mit zwei Personen auf einem Weg, den auch Fußgänger benutzten. Das Landgericht München II sprach dem Wanderer 15.000 Euro Schmerzensgeld zu (Urteil vom 16.2.2021, Az. 8 O 1740/19).
Das Landgericht Limburg sprach einem Kind mit Urteil vom 28.6.2021 insgesamt eine Million Euro Schmerzensgeld zu. Der im Jahr 2011 ein Jahr alte Junge hatte beim Spritzen eines Antibiotikums derart geweint und geschrien, dass er sich an einem zuvor gegessenen Stück Apfel verschluckte. Dadurch erlitt er schwerste Hirnschäden. Bei der außergewöhnlichen Höhe des Schmerzensgeldes hatten die Richter die schwerwiegenden Folgen im Blick: Der Junge werde nie "ein auch nur näherungsweise normales Leben" führen können. Das Gericht urteilte darüber hinaus, dass dem Kläger "sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm infolge einer fehlerhaften Behandlung entstanden sind beziehungsweise noch entstehen werden", zu ersetzen seien.
Allerdings hat das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. dieses Urteil inzwischen aufgehoben. Das Verhalten der Krankenschwester habe den von Sachverständigen herausgearbeiteten Sorgfaltsmaßstäben entsprochen. Es habe keinen Grund gegeben, weitere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Kau- und Schluckbewegungen seien bei dem Kind nicht zu erkennen gewesen. Auch sei die Frau ausreichend qualifiziert gewesen, um die Injektion vorzunehmen (Urteil vom 25.4.2023, Az. 8 U 127/21).
Grundsätzlich verjährt ein Anspruch auf Schmerzensgeld in drei Jahren. Die Frist beginnt am Jahresende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte von den Umständen erfahren hat, die den Anspruch begründen. Das bedeutet: Wenn es unvorhergesehene Spätfolgen gibt, beginnt auch die Verjährungsfrist später zu laufen.
Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist seit 1990 vererblich. Dies setzt nicht voraus, dass der Geschädigte vor seinem Tod angekündigt hat, Schmerzensgeld verlangen zu wollen. Der Bundesgerichtshof hat dies bestätigt (Urteil vom 6.12.1994, Az. VI ZR 80/94).
Haben Sie einen nicht materiellen Schaden erlitten? Ein im Zivilrecht erfahrener Rechtsanwalt kann Sie dabei unterstützen, einen Schmerzensgeldanspruch einzuklagen. Er kann auch helfen, die angemessene Höhe des einzufordernden Schmerzensgeldes richtig einzuschätzen.
Das Wichtigste in Kürze
1. Begriff: Im Gegensatz zu Schadenersatz, der für bezifferbare materielle Schäden geleistet wird, kompensiert Schmerzensgeld schwer zu beziffernde, immaterielle Schäden wie Schmerzen und Lebensqualitätseinbußen.
2. Voraussetzung: Ein Anspruch besteht bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder sexuellen Selbstbestimmung und bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts. Ein Verschulden des Verursachers ist nicht immer notwendig.
3. Höhe: Die Höhe richtet sich nach Kriterien wie Schmerzart, Behandlungsdauer, Folgeschäden und Mitverschulden. Gerichte orientieren sich oft an Schmerzensgeldtabellen und früheren Urteilen, wobei jeder Fall individuell vom Gericht beurteilt wird.
1. Begriff: Im Gegensatz zu Schadenersatz, der für bezifferbare materielle Schäden geleistet wird, kompensiert Schmerzensgeld schwer zu beziffernde, immaterielle Schäden wie Schmerzen und Lebensqualitätseinbußen.
2. Voraussetzung: Ein Anspruch besteht bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder sexuellen Selbstbestimmung und bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts. Ein Verschulden des Verursachers ist nicht immer notwendig.
3. Höhe: Die Höhe richtet sich nach Kriterien wie Schmerzart, Behandlungsdauer, Folgeschäden und Mitverschulden. Gerichte orientieren sich oft an Schmerzensgeldtabellen und früheren Urteilen, wobei jeder Fall individuell vom Gericht beurteilt wird.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was ist der Unterschied zwischen Schadenersatz und Schmerzensgeld? Wann besteht Anspruch auf Schmerzensgeld? Wie wird die Höhe des Schmerzensgeldes berechnet? Schmerzensgeld wegen Verlust eines nahen Angehörigen? Demonstrant fällt vom Baum: Schmerzensgeld? Schmerzensgeld, weil Polizeihund einen Unschuldigen beißt? Kollision beim Rodeln Hirnschaden nach Verschlucken: Schmerzensgeld von einer Million Euro? Wann verjährt ein Anspruch auf Schmerzensgeld? Ist der Anspruch auf Schmerzensgeld vererblich? Praxistipp zum Schmerzensgeld Was ist der Unterschied zwischen Schadenersatz und Schmerzensgeld?
Zwischen den Ansprüchen auf Schadenersatz und Schmerzensgeld muss man genau unterscheiden. Der Schadenersatz stellt einen Ausgleich für einen Schaden dar, der ohne Weiteres in Geld beziffert werden kann. Beispiele: Die Reparaturkosten für einen Unfallschaden am Auto oder die Kosten für vier Wochen Krankengymnastik. Allerdings sind manche Schäden schwerer zu beziffern. Dies können etwa körperliche Schmerzen durch eine Verletzung sein, eine dauerhafte Beeinträchtigung, weil jemand ein Sinnesorgan oder eine Hand nicht mehr richtig benutzen kann, der Verlust an Lebensqualität, weil ein Hobby oder der Beruf nicht mehr ausgeübt werden können, oder seelische Leiden durch eine Behinderung. Der Gesetzgeber will jedoch sicherstellen, dass auch solche "immateriellen" Schäden ausgeglichen und gesühnt werden. Dafür gibt es das Schmerzensgeld.
Wann besteht Anspruch auf Schmerzensgeld?
Ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht grundsätzlich bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung. Anerkannt ist jedoch auch das Schmerzensgeld in Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wie etwa für die unerlaubte Verbreitung von Fotos einer Person. Ein Gericht kann Schmerzensgeld gewähren, wenn eine andere Person die Verletzung des Geschädigten verschuldet hat. In anderen Fällen ist kein Verschulden im engeren Sinne nötig – zum Beispiel haftet der Halter eines Autos, mit dem ein Unfall verursacht wurde, auch, wenn er selbst nicht gefahren ist.
Wie wird die Höhe des Schmerzensgeldes berechnet?
Das Gesetz spricht nur von einer "billigen Entschädigung in Geld". "Billig" bedeutet so viel wie angemessen. Allerdings geht es hier ja gerade um sogenannte immaterielle Schäden, die man nicht in Geld beziffern kann. Daher ist es oft schwierig, einen angemessenen Betrag festzulegen. Dabei berücksichtigt man häufig folgende Kriterien:
- Art und Dauer von Schmerzen (bzw. auch Dauer eines Krankenhausaufenthaltes, einer Beweglichkeitseinschränkung, des Tragens einer Halskrause),
- Intensität eines medizinischen Eingriffs (war eine Operation nötig, um die Gesundheit wiederherzustellen? Womöglich mehrere Operationen?),
- Folgeschäden (körperlich und psychisch),
- wie stark ist das Unfallopfer in seiner Lebensführung beeinträchtigt?
- Mitverschulden des Verletzten.
Eine spezielle Berechnungsformel gibt es nicht. Die Gerichte orientieren sich häufig an sogenannten Schmerzensgeldtabellen. Diese fassen die Beträge aus früheren Gerichtsurteilen zusammen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Kein Gericht ist fest an die Urteile anderer Gerichte gebunden und jeder Fall ist unterschiedlich. Daher können auch in vermeintlich ähnlichen Fällen sehr unterschiedliche Beträge herauskommen.
Einige Schmerzensgeldtabellen listen bis zu zehn verschiedene Arten von Beinbrüchen auf, mit Beträgen zwischen 2.000 und 10.000 Euro. Trotzdem kann jeder individuelle Fall anders beurteilt werden.
Beispiel: Schleudertrauma
Geschädigte erhalten oft nach einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule etwa 600 Euro. Allerdings hat das Amtsgericht München einer bei einem Autounfall verletzten Frau 2.000 Euro zugesprochen, weil sie wochenlang unter Schmerzen litt und arbeitsunfähig war (Urteil vom 29.1.2013, Az. 332 C 21014/12). Hier gibt es jedoch verschiedene mögliche Fallkonstellationen. Näheres zum Thema finden Sie hier:
Wann gibt es Schmerzensgeld für ein Schleudertrauma?
Beispiel: Amputation
An einer Fußgängerfurt wurde ein 11-jähriges Mädchen von einer U-Bahn erfasst und verlor ein Bein. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gestand ihr 80.000 Euro Schmerzensgeld zu. Zusätzlich erhielt sie eine lebenslange monatliche Schmerzensgeldrente von 228 Euro (Urteil vom 30.8.2013, Az. 1 U 68/12).
Beispiel: Wachkoma nach Tötungsversuch
Ein 35-jähriger Familienvater war auf einer Betriebsfeier mit einem Arbeitskollegen in Streit geraten. Anschließend wurde er von diesem absichtlich mit dem Auto überfahren. Er erlitt neben vielen anderen Verletzungen ein Schädel-Hirn-Trauma und fiel dauerhaft ins Wachkoma. Eine Heilung war nicht absehbar, ein selbstbestimmtes Leben nicht mehr möglich. In diesem Fall wurde ein für deutsche Verhältnisse außergewöhnlich hohes Schmerzensgeld von 500.000 Euro zugesprochen. Das Gericht erklärte, dass eine schlimmere Gesundheitsschädigung eigentlich gar nicht mehr denkbar sei (Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 2.9.2014, Az. 12 U 50/14).
Beispiel: Fehlerhafte Geburt
Bei einer Geburt kam es durch einen grob schuldhaft vom Arzt verzögerten Notkaiserschnitt zu einer Sauerstoff-Unterversorgung des Kindes. Dieses war daher von Geburt an körperlich und geistig schwerst behindert, blind, lag im Wachkoma und musste künstlich beatmet werden. Das Oberlandesgericht Jena gestand hier einen "herausragenden" Schmerzensgeldbetrag von 600.000 Euro für einen Schaden zu, wie er schlimmer nicht mehr denkbar sei (14.8.2009, Az. U 459/09).
Beispiel: Überflüssige Bandscheiben-Operation
Ohne ausreichende ärztliche Aufklärung wurde einem Mann eine damals neuartige Bandscheibenprothese eingesetzt. Danach litt er unter Rückenschmerzen. Nach Ansicht anderer Ärzte wäre die Operation gar nicht nötig gewesen. Das Oberlandesgericht Hamm sprach ihm 20.000 Euro Schmerzensgeld zu (Az. 3 U 54/14).
Weitere Beispiele:
Einem Schulkind gestand das Amtsgericht Bonn 800 Euro Schmerzensgeld für einen Armbruch beim Sport zu. Der Arm des Mädchens war aus der Gelenkpfanne gesprungen, sie fiel drei Wochen in der Schule aus (Az. 11 C 478/05). Das Landgericht Wuppertal berechnete 5.500 Euro bei einer Oberarmfraktur mit dauerhafter Einschränkung der Drehbarkeit von Unterarm und Handgelenk (Az. 17 O 98/04). 28.000 Euro gab es 2005 vom OLG Celle bei einer Verletzung des Augapfels mit dauerhafter Sehschädigung (Az. 14 U 17/05). Ein ärztlicher Behandlungsfehler im Rahmen einer Bandscheiben-OP führte dazu, dass ein junger Mann dauerhaft keine schweren Gewichte mehr heben konnte, Schmerzen beim Sitzen hatte und sein linkes Bein taub wurde. Er erhielt 80.000 Euro Schmerzensgeld (LG Bielefeld, Az. 4 O 163/07). 147.000 Euro gestand ein Gericht einem Verbrennungsopfer zu, das unzählige Operationen über sich ergehen lassen musste und schließlich zu 90 % schwerbehindert war (LG Dortmund, Az. 21 O 370/04).
Schmerzensgeld wegen Verlust eines nahen Angehörigen?
In bestimmten Ausnahmefällen erhalten auch nahe Angehörige eines Menschen, der zum Beispiel bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, Schmerzensgeld. Dazu müssen sie einen sogenannten Schockschaden nachweisen. Es muss also durch den Todesfall zu einem nachweisbaren Schock oder Trauma, also zu einem eigenen Gesundheitsschaden, gekommen sein. Beispiel: Das Landgericht Düsseldorf gestand einem Elternpaar, das den Tod seines 15-jährigen Sohnes mit ansehen musste, 20.000 Euro Schmerzensgeld zu. Der Junge war von der Pumpe eines Hotelpools angesaugt worden und die Eltern hatten ihn nicht befreien können (Az. 3 O 170/04). Näheres zum Schockschaden:
Psychischer Schock: Wann gibt es Schmerzensgeld?
Demonstrant fällt vom Baum: Schmerzensgeld?
Das Oberlandesgericht Celle musste sich mit den Folgen einer Protestaktion gegen einen Castortransport befassen. Der spätere Kläger hatte mit einigen anderen Demonstranten versucht, nahe der Transportstrecke ein Transparent aufzuhängen. Einige Polizeibeamte wollten dies verhindern. Der Kläger wollte den Beamten entkommen und kletterte auf eine Kiefer. Schließlich stürzte er ab – aus einer Höhe von vier Metern. Dabei brach er sich einen Rückenwirbel. Der Demonstrant sah die Schuld für seine Verletzungen bei der Polizei und verklagte das Bundesland auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das Gericht wies die Klage ab. Eine Pflichtverletzung der Polizeibeamten sei nicht feststellbar (Urteil vom 7.4.2016, Az. 16 U 61/15).
Schmerzensgeld, weil Polizeihund einen Unschuldigen beißt?
Das Oberlandesgericht Karlsruhe gestand einem Geschädigten Ansprüche aus Amtshaftung zu. Einige Polizisten hatten in einem Stadtpark nach dem Täter eines gerade begangenen Raubüberfalls gefahndet. Einige Jugendliche liefern davon. Ein Hundeführer wollte die Flüchtigen festnehmen und ließ seinen Diensthund los, der einen der Jugendlichen stoppte und ihm eine Vielzahl von Bisswunden an beiden Unterarmen, am rechten Oberarm, am Rücken und an den Beinen zufügte. Später stellte sich heraus, dass die Jugendlichen mit dem Raub nichts zu tun hatten. Der Verletzte konnte tagelang seine Hände nicht bewegen und musste wochenlang seine Wunden versorgen lassen. Das Gericht gestand dem Polizeibeamten zu, dass er den Flüchtenden habe aufhalten dürfen. Es gäbe aber keine vernünftige Erklärung für eine derart große Anzahl an Bisswunden. Ein Polizeihundeführer müsse seinen Hund soweit unter Kontrolle haben, dass dieser nicht willkürlich zubeiße. Da die Verhältnismäßigkeit hier nicht gewahrt war, musste das Land Baden-Württemberg 2.500 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld zahlen (Urteil vom 18.6.2015, Az. 9 U 23/14).
Kollision beim Rodeln
Ein bergab fahrender Rodler in Bayern kollidierte mit einem bergauf gehenden Bergwanderer. Dieser zog sich diverse Verletzungen zu – etwa einen Kreuzbandriss und mehrere Knochenbrüche. Folge waren dauerhafte Bewegungseinschränkungen des Knies und bewegungsabhängige Beschwerden bei längerem Gehen und Stehen. Zwischen beiden Seiten wurde darum gestritten, wer an dem Unfall schuld war. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Rodler hätte vorsichtiger sein müssen. Ein Sachverständiger schloss aus den Verletzungen und auch Faktoren wie aufgewirbeltem Schnee auf eine deutlich überhöhte Geschwindigkeit für einen Schlitten mit zwei Personen auf einem Weg, den auch Fußgänger benutzten. Das Landgericht München II sprach dem Wanderer 15.000 Euro Schmerzensgeld zu (Urteil vom 16.2.2021, Az. 8 O 1740/19).
Hirnschaden nach Verschlucken: Schmerzensgeld von einer Million Euro?
Das Landgericht Limburg sprach einem Kind mit Urteil vom 28.6.2021 insgesamt eine Million Euro Schmerzensgeld zu. Der im Jahr 2011 ein Jahr alte Junge hatte beim Spritzen eines Antibiotikums derart geweint und geschrien, dass er sich an einem zuvor gegessenen Stück Apfel verschluckte. Dadurch erlitt er schwerste Hirnschäden. Bei der außergewöhnlichen Höhe des Schmerzensgeldes hatten die Richter die schwerwiegenden Folgen im Blick: Der Junge werde nie "ein auch nur näherungsweise normales Leben" führen können. Das Gericht urteilte darüber hinaus, dass dem Kläger "sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm infolge einer fehlerhaften Behandlung entstanden sind beziehungsweise noch entstehen werden", zu ersetzen seien.
Allerdings hat das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. dieses Urteil inzwischen aufgehoben. Das Verhalten der Krankenschwester habe den von Sachverständigen herausgearbeiteten Sorgfaltsmaßstäben entsprochen. Es habe keinen Grund gegeben, weitere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Kau- und Schluckbewegungen seien bei dem Kind nicht zu erkennen gewesen. Auch sei die Frau ausreichend qualifiziert gewesen, um die Injektion vorzunehmen (Urteil vom 25.4.2023, Az. 8 U 127/21).
Wann verjährt ein Anspruch auf Schmerzensgeld?
Grundsätzlich verjährt ein Anspruch auf Schmerzensgeld in drei Jahren. Die Frist beginnt am Jahresende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte von den Umständen erfahren hat, die den Anspruch begründen. Das bedeutet: Wenn es unvorhergesehene Spätfolgen gibt, beginnt auch die Verjährungsfrist später zu laufen.
Ist der Anspruch auf Schmerzensgeld vererblich?
Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist seit 1990 vererblich. Dies setzt nicht voraus, dass der Geschädigte vor seinem Tod angekündigt hat, Schmerzensgeld verlangen zu wollen. Der Bundesgerichtshof hat dies bestätigt (Urteil vom 6.12.1994, Az. VI ZR 80/94).
Praxistipp zum Schmerzensgeld
Haben Sie einen nicht materiellen Schaden erlitten? Ein im Zivilrecht erfahrener Rechtsanwalt kann Sie dabei unterstützen, einen Schmerzensgeldanspruch einzuklagen. Er kann auch helfen, die angemessene Höhe des einzufordernden Schmerzensgeldes richtig einzuschätzen.
(Bu)