Verkehrsunfall in der Schweiz – Was müssen deutsche Unfallgeschädigte beachten?

12.02.2024, Autor: Herr Daniel Tabaka / Lesedauer ca. 5 Min. (119 mal gelesen)
Aufgrund der Tatsache, dass die Schweiz unmittelbar an Deutschland grenzt, jedoch kein Mitglied der Europäischen Union (EU) ist, während sie aufgrund einer Vielzahl von Abkommen (bspw. Lugano-Übereinkommen = Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – LugÜ) eine enge Beziehung zur Europäischen Union unterhält, stellen sich für deutsche Unfallgeschädigte bei unverschuldeten Verkehrsunfällen, die sich in der Schweiz mit einem bei einer schweizerischen Kfz-Haftpflichtversicherung versicherten Fahrzeug ereignet haben, zahlreiche Fragen in Zusammenhang mit der Unfallschadenregulierung.

Nachfolgend ein Leitfaden für deutsche Unfallgeschädigte:

Muss sich der Geschädigte an die schweizerische Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners wenden, um seine Schadensersatzansprüche geltend zu machen?

Nein. Anhand des schweizerischen Kennzeichens kann über den Zentralruf der Autoversicherer (www.zentralruf.de) sowohl die schweizerische Versicherung als auch eine deutsche Versicherung ermittelt werden, die von der schweizerischen Versicherung als zuständiger Schadensregulierungsbeauftragter benannt wurde. Ist das schweizerische Kennzeichen und die schweizerische Versicherung des Unfallgegners bekannt (bspw., weil im besten Fall direkt am Unfallort noch alle Daten der Unfallbeteiligten ausgetauscht wurden), bekommt man in aller Regel eine sofortige Auskunft, welche deutsche Versicherung als Schadensregulierungsbeauftragter für die schweizerische Versicherung zuständig ist. Kennt man lediglich das Kennzeichen des schweizerischen Fahrzeuges, kann es gegebenenfalls 24 bis 48 Stunden dauern, bis man die entsprechende Auskunft zur schweizerischen Versicherung un den deutschen Schadensregulierungsbeauftragten durch den Zentralruf erhält. Die Auskunft des Zentralrufes sieht dann bspw. wie folgt aus (beispielhafter Abruf über den Zentralruf mithilfe eines schweizerischen Kennzeichens – nachfolgend anonymisiert - am 08.02.2024; keine Gewähr für Richtigkeit bzw. Aktualität der Angaben):

„Sehr geehrte Damen und Herren,

zu dem Kennzeichen XY 123456 konnte folgender Versicherer zum Unfalldatum 21.07.2023 ermittelt werden:

Vaudoise Assurances

Case postale 120

1001 Lausanne

Tel.: +41 21 618 88 88

Fax.: +41 21 618 81 46

Von dem genannten Versicherer wurde in Deutschland ein Schadenregulierungsbeauftragter benannt. Bitte wenden Sie sich zur Geltendmachung der Schadensersatzansprüche an:

R+V Allgemeine Versicherungs AG

John-F.-Kennedy-Str. 1

65189 Wiesbaden

Tel.: +49-611/533-885

Fax: +49-611/5332952

E-Mail: schaden_kfz_dir@ruv.de“

Die Schadensregulierung gestaltet sich daher nicht anders bzw. aufwendiger als bei einem Verkehrsunfall in Deutschland mit einem deutschen Unfallgegner. Der Unfallgeschädigte bzw. dessen Rechtsanwalt korrespondiert einzig und allein mit einer deutschen Versicherung als Schadensregulierungsbeauftragtem, die sich wiederum mit der schweizerischen Kfz-Haftpflichtversicherung in Verbindung setzt. Der Unfallgeschädigte muss nicht selbst mit der schweizerischen Versicherung Kontakt aufnehmen, um seine Schadensersatzansprüche geltend zu machen.



Wer ist richtiger Klagegegner, wenn die Schadensersatzansprüche des Unfallgeschädigten vollständig oder teilweise zurückgewiesen werden?

Sollte die deutsche Versicherung als zuständiger Schadensregulierungsbeauftragter namens und im Auftrage der schweizerischen Versicherung die geltend gemachten Schadensersatzansprüche vollständig oder teilweise zurückweisen, ist richtigerweise die schweizerische Versicherung selbst zu verklagen, nicht jedoch die deutsche Versicherung, die lediglich als Schadensregulierungsbeauftragter tätig wird. Nach geltendem Recht hat der Unfallgeschädigte – wie es auch bei Unfällen in Deutschland mit einem bei einer deutschen Kfz-Haftpflichtversicherung der Fall ist – gegen die schweizerische Versicherung einen sog. Direktanspruch, d.h. er kann seine Schadensersatzansprüche direkt gegenüber der schweizerischen Versicherung auf dem Klageweg geltend machen, ohne sich an den schuldhaft handelnden Unfallgegner selbst halten zu müssen.

Richtet der Unfallgeschädigte seine Schadensersatzklage also nicht gegen die schweizerische Versicherung selbst, sondern gegen den deutschen Schadensregulierungsbeauftragten, ist die Klage mangels Passivlegitimation des Schadensregulierungsbeauftragten (= falscher Klagegegner) begründet und wird abgewiesen. Aber: Die Klageschrift gegen die schweizerische Versicherung kann und darf dem inländischen Schadensregulierungsbeauftragten zugestellt werden, womit auch etwaige Übersetzungserfordernisse entfallen würden (denn normalerweise muss eine Klageschrift gegebenenfalls zunächst in die ausländische Sprache übersetzt werden, wenn man eine ausländische, natürliche oder juristische Person verklagt).



Muss der Geschädigte seine Schadensersatzklage gegen die schweizerische Kfz-Haftpflichtversicherung vor einem Gericht in der Schweiz erheben oder kann er vor einem deutschen Gericht klagen?

Grundsätzlich gilt Folgendes:

Bereits bei einem Unfall, der sich im EU-Ausland ereignet hat, hat der Geschädigte gem. Art. 11 EuGVVO gegen die gegnerische Haftpflichtversicherung, die ihren Geschäftssitz in der EU hat, einen Direktanspruch, wobei der Geschädigte die ausländische Versicherung nach gefestigter höchstgerichtlicher Rechtsprechung (EuGH und BGH) unmittelbar an seinem inländischen Wohnort verklagen kann. Beispiel:

Hatte der in Fulda (Hessen, Deutschland) wohnende Geschädigte einen Verkehrsunfall in Italien (Mitglied der Europäischen Union) mit einem bei einer italienischen Kfz-Haftpflichtversicherung versicherten Fahrzeug, kann der deutsche Geschädigte seinen Direktanspruch gegen die italienische Kfz-Haftpflichtversicherung - je nach Streitwert - am Amts- oder Landgericht in Fulda (Deutschland) gerichtlich geltend machen, falls der für die italienische Versicherung zuständige deutsche Schadensregulierungsbeauftragte (bspw. die deutsche Allianz Versicherungs-AG) die Schadensersatzansprüche auftragsgemäß (teilweise oder vollständig) außergerichtlich zurückweist.

Die vorstehenden Ausführungen sind für einen Unfall, der sich in der Schweiz (kein EU-Mitglied) mit einem schweizerischen Fahrzeug ereignet hat, deshalb von Relevanz, weil Entsprechendes auch für diesen Unfallsachverhalt gilt. Denn nach den Art. 9 und 11 des Luganer Übereinkommens (LugÜ) kann der Geschädigte seinen gegen die schweizerische Kfz-Haftpflichtversicherung bestehenden Direktanspruch ebenfalls beim Gericht seines Wohnsitzes, mithin vor einem deutschen Gericht, geltend machen.

Kurz gesagt: Deutsche Gerichte sind international und örtlich für eine Direktklage des Unfallgeschädigten gegen eine schweizerische Versicherung zuständig

Wichtig: Die vorstehenden Ausführungen zur Zuständigkeit deutscher Gerichte gelten nur für eine Klage gegen die schweizerische Versicherung. Für den Unfallgegner selbst (Fahrer und/oder Halter) gilt der deutsche Gerichtsstand nicht. Es kann also nur die schweizerische Versicherung vor einem deutschen Gericht verklagt werden (was in aller Regel aber auch ausreichend und in erster Linie gewollt ist).



Welches Recht (Schadensersatzrecht) findet außergerichtlich und gerichtlich bei einem Verkehrsunfall in der Schweiz Anwendung?

Sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich gilt das Recht desjenigen Ortes, an dem sich der Verkehrsunfall ereignet hat (Unfallort, Tatort). Hat sich der Unfall in der Schweiz oder einem EU-Land ereignet, findet das schweizerische Schadensersatzrecht bzw. das Recht des jeweiligen EU-Landes Anwendung. Dies gilt sowohl für die Haftung dem Grunde nach (Schuldfrage) als auch für die Haftung der Höhe nach (konkret erstattungsfähige Schadenspositionen).

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man

a) außergerichtlich ausschließlich mit einem von der ausländischen Versicherung benannten deutschen Schadensregulierungsbeauftragten korrespondiert, und/oder

b) die ausländische Versicherung vor einem deutschen Gericht verklagt.

Im Ergebnis bedeutet dies auch, dass ein deutsches Gericht im Zweifel ausländisches Recht zur Anwendung bringen muss. Hierfür können sich Gerichte zur Klärung des Falles auch eines Rechtsgutachtens bedienen, mit Hilfe dessen die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche (Haftung dem Grunde und der Höhe nach) abschließend beurteilt werden können. Denn die Schuld- und Haftungsfrage kann sich nach ausländischem Recht möglicherweise nach ganz anderen Faktoren beurteilen, als es nach deutschem Recht der Fall wäre. Gleiches gilt für konkrete Schadenspositionen (bspw. Schmerzensgeldhöhe, Nutzungsausfallentschädigung usw.), die vielleicht nach deutschem Recht erstattungsfähig sind, nach ausländischen Recht jedoch nicht (ohne Weiteres).



Welche Unterschiede bestehen zu deutschem Recht und welche Schadenspositionen stehen einem Unfallgeschädigten nach schweizerischem Recht zu bzw. im Gegensatz zu deutschen Recht nicht zu?

Wichtig ist zunächst, dass Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall nach schweizerischen Recht bereits nach zwei Jahren verjähren, während in Deutschland eine dreijährige Verjährungsfrist gilt.

Nach schweizerischem Recht erstattungsfähige Schadenspositionen:

  • Reparaturkosten (bei Reparaturschaden)
  • Wiederbeschaffungsaufwand (bei Totalschaden = Reparaturkosten höher als Wiederbeschaffungswert)
  • Mietwagenkosten (nur bei zwingender Erforderlichkeit eines Ersatzfahrzeuges)
  • Abschleppkosten
  • Sachverständigen-/Gutachterkosten (nur bei Erforderlichkeit einer eigenen Beauftragung)
  • Wertminderung
  • Selbstbeteiligung in der Vollkaskoversicherung
  • Kosten für Übernachtung/Verpflegung
  • Anwaltskosten (bei Erforderlichkeit)
  • Ggfs. weitere Positionen wie Aufwendungen für Post, Auslagen usw.
  • Heil- und Behandlungskosten (soweit nicht von einer Krankenkasse übernommen)
  • Verdienstausfälle
  • Schmerzensgeld
Nach schweizerischem Recht nicht erstattungsfähige Positionen insb.:

  • Nutzungsausfall
  • Entgangene Urlaubsfreude
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