Verwertbarkeit von Videoabstandsmessungen mit dem Vibram-System
05.05.2010, Autor: Herr Hans Wilhelm Busch / Lesedauer ca. 3 Min. (4360 mal gelesen)
Bei der Verwertbarkeit von Videoabstandsmessungen weist die Rechtsprechung einzelner Bundesländer erhebliche Unterschiede auf
In zwei Entscheidungen aus jüngerer Zeit sind das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 09.02.2010, 3 RBs 8/10) und OLG Stuttgart (Beschluss vom 29.01.2010, 4 Ss 1525/09) zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen hinsichtlich der Verwertbarkeit von Videoabstandsmessungen mit dem Vibram-System gelangt.
Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen ist hierbei der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009, wonach die durch eine ohne konkreten Anfangsverdacht durchgeführte Videoüberwachung ermittelten Beweise einem Beweiserhebungsverbot unterliegen. Gegenstand der hier besprochenen Beschlüsse war eine Abstandsmessung mittels einer Vibram-Anlage bestehend aus einer auf der Brücke installierten Übersichtskamera und einer neben der Fahrbahn installierten Handkamera. Mit der Übersichtskamera, die keine Feststellung von Kennzeichen und Fahrer erlaubt, wurde der gesamte Verkehr ständig aufgenommen und von einem Polizeibeamten überwacht. Wenn dieser eine Abstandsunterschreitung augenscheinlich erkannt hat, wurde auf die Handkamera umgeschaltet, die qualitativ einwandfreie Aufnahmen zur Feststellung des konkreten Abstands und des Kennzeichens sowie zur Identifizierung des Fahrers hergestellt hat.
Unterschiede ergaben sich schon bei der Bewertung, ob hier überhaupt ein Grundrechtseingriff im Sinne der vorstehend zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt. Das OLG Düs-seldorf hat angenommen, dass ein Grundrechtseingriff bereits dann vorliegt, wenn überhaupt ein privater Lebensvorgang erfasst wird, auch wenn es erst durch zusätzliche Maßnahmen zur weiteren konkreten Individualisierung kommt. Auch auf der durchlaufenden Videoaufzeichnung mit der Primärkamera müssen konkrete Details erkennbar sein, so zumindest Fahrzeugtyp, Fahrweise und Fahrverhalten, aber auch die personelle Besetzung des Fahrzeugs auf den Vordersitzen. Ohne eine entsprechende Auflösung der Videokamera wäre dem Messbeamten nämlich eine ausreichend sichere Beurteilung, ob der Anfangsverdacht eines Verkehrsverstoßes vorliegt, objektiv gar nicht möglich. Das OLG Stuttgart stellt dagegen an die Grundrechtsverletzung erheblich höhere Anforderungen, indem es nämlich verlangt, dass eine Identifizierung des Verkehrsteilnehmers durch dessen Bild oder das Kennzeichnen seines Fahrzeugs möglich sein muss. Nach Auffassung des OLG Stuttgart stellt daher ein Dauereinsatz der Primärkamera keine Grundrechtsverletzung dar.
Obwohl also gar keine Grundrechtsverletzung vorliegt, hat das OLG Stuttgart geprüft, ob für den Eingriff eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Diese Prüfung hat selbstverständlich - und insoweit auch konsequent – auch das OLG Düsseldorf durchgeführt. Beide Gerichte waren sich einig, dass § 81b StPO nicht anwendbar ist. Die Anwendbarkeit des § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO hat das OLG Düsseldorf abgelehnt, und das OLG Stuttgart nicht geprüft. Schließlich haben beide Gerichte § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO geprüft, und sind hierbei wiederum zu entgegengesetzten Ergebnissen gelangt.
Das OLG Düsseldorf hatte schon Zweifel an der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vorschrift im Bußgeldverfahren, nachdem Sinn und Zweck dieser Vorschrift in erster Linie die Bekämpfung von schwer ermittelbarer Kriminalität (Rauschgifthandel und andere organisierte Kriminalität) ist. Zudem käme § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO als potentielle Ermächtigungsgrundlage ebenfalls nur für Videoauf-zeichnungen in Betracht, die zeitlich nach dem Vorliegen eines Anfangsverdachts ausgelöst werden. Die Primärkamera zeichnet jedoch anlasslos auf. Dagegen ist das OLG Stuttgart zwanglos der Auffas-sung, dass vorstehend zitierte Vorschrift hier als Rechtsgrundlage dienen kann, weil nach dem Wort-laut der Vorschrift keine Beschränkung auf Fälle der organisierten Kriminalität enthalten sei.
Zusammengefasst ist festzustellen, dass ersichtlich der Grundrechtsschutz in unterschiedlichen OLG-Bezirken ein ganz unterschiedliches Gewicht hat. Um hier eine Vereinheitlichung herbeizuführen, bedarf es weiterer höchstrichterlicher Rechtsprechung. Bemerkenswert ist ferner, wie schnell eine Vorschrift, die ursprünglich der Aufklärung der organisierten Kriminalität dienen sollte, ihren Weg ins einfache Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht findet. Bundesweiten Schutz vor Verfolgung bietet nach alldem mit hinreichender Sicherheit gegenwärtig nur die Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestab-standes.
Ergänzung:
Zwischenzeitlich hat das BVerfG (Az.: 2 BvR 759/10) entschieden, dass die Verwertung von Bildaufnahmen keinen Grundrechtsverstoß darstellt. Die Auffassung des OLG Düsseldorf hat sich somit nicht durchgesetzen können.
In zwei Entscheidungen aus jüngerer Zeit sind das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 09.02.2010, 3 RBs 8/10) und OLG Stuttgart (Beschluss vom 29.01.2010, 4 Ss 1525/09) zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen hinsichtlich der Verwertbarkeit von Videoabstandsmessungen mit dem Vibram-System gelangt.
Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen ist hierbei der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009, wonach die durch eine ohne konkreten Anfangsverdacht durchgeführte Videoüberwachung ermittelten Beweise einem Beweiserhebungsverbot unterliegen. Gegenstand der hier besprochenen Beschlüsse war eine Abstandsmessung mittels einer Vibram-Anlage bestehend aus einer auf der Brücke installierten Übersichtskamera und einer neben der Fahrbahn installierten Handkamera. Mit der Übersichtskamera, die keine Feststellung von Kennzeichen und Fahrer erlaubt, wurde der gesamte Verkehr ständig aufgenommen und von einem Polizeibeamten überwacht. Wenn dieser eine Abstandsunterschreitung augenscheinlich erkannt hat, wurde auf die Handkamera umgeschaltet, die qualitativ einwandfreie Aufnahmen zur Feststellung des konkreten Abstands und des Kennzeichens sowie zur Identifizierung des Fahrers hergestellt hat.
Unterschiede ergaben sich schon bei der Bewertung, ob hier überhaupt ein Grundrechtseingriff im Sinne der vorstehend zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt. Das OLG Düs-seldorf hat angenommen, dass ein Grundrechtseingriff bereits dann vorliegt, wenn überhaupt ein privater Lebensvorgang erfasst wird, auch wenn es erst durch zusätzliche Maßnahmen zur weiteren konkreten Individualisierung kommt. Auch auf der durchlaufenden Videoaufzeichnung mit der Primärkamera müssen konkrete Details erkennbar sein, so zumindest Fahrzeugtyp, Fahrweise und Fahrverhalten, aber auch die personelle Besetzung des Fahrzeugs auf den Vordersitzen. Ohne eine entsprechende Auflösung der Videokamera wäre dem Messbeamten nämlich eine ausreichend sichere Beurteilung, ob der Anfangsverdacht eines Verkehrsverstoßes vorliegt, objektiv gar nicht möglich. Das OLG Stuttgart stellt dagegen an die Grundrechtsverletzung erheblich höhere Anforderungen, indem es nämlich verlangt, dass eine Identifizierung des Verkehrsteilnehmers durch dessen Bild oder das Kennzeichnen seines Fahrzeugs möglich sein muss. Nach Auffassung des OLG Stuttgart stellt daher ein Dauereinsatz der Primärkamera keine Grundrechtsverletzung dar.
Obwohl also gar keine Grundrechtsverletzung vorliegt, hat das OLG Stuttgart geprüft, ob für den Eingriff eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Diese Prüfung hat selbstverständlich - und insoweit auch konsequent – auch das OLG Düsseldorf durchgeführt. Beide Gerichte waren sich einig, dass § 81b StPO nicht anwendbar ist. Die Anwendbarkeit des § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO hat das OLG Düsseldorf abgelehnt, und das OLG Stuttgart nicht geprüft. Schließlich haben beide Gerichte § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO geprüft, und sind hierbei wiederum zu entgegengesetzten Ergebnissen gelangt.
Das OLG Düsseldorf hatte schon Zweifel an der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vorschrift im Bußgeldverfahren, nachdem Sinn und Zweck dieser Vorschrift in erster Linie die Bekämpfung von schwer ermittelbarer Kriminalität (Rauschgifthandel und andere organisierte Kriminalität) ist. Zudem käme § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO als potentielle Ermächtigungsgrundlage ebenfalls nur für Videoauf-zeichnungen in Betracht, die zeitlich nach dem Vorliegen eines Anfangsverdachts ausgelöst werden. Die Primärkamera zeichnet jedoch anlasslos auf. Dagegen ist das OLG Stuttgart zwanglos der Auffas-sung, dass vorstehend zitierte Vorschrift hier als Rechtsgrundlage dienen kann, weil nach dem Wort-laut der Vorschrift keine Beschränkung auf Fälle der organisierten Kriminalität enthalten sei.
Zusammengefasst ist festzustellen, dass ersichtlich der Grundrechtsschutz in unterschiedlichen OLG-Bezirken ein ganz unterschiedliches Gewicht hat. Um hier eine Vereinheitlichung herbeizuführen, bedarf es weiterer höchstrichterlicher Rechtsprechung. Bemerkenswert ist ferner, wie schnell eine Vorschrift, die ursprünglich der Aufklärung der organisierten Kriminalität dienen sollte, ihren Weg ins einfache Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht findet. Bundesweiten Schutz vor Verfolgung bietet nach alldem mit hinreichender Sicherheit gegenwärtig nur die Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestab-standes.
Ergänzung:
Zwischenzeitlich hat das BVerfG (Az.: 2 BvR 759/10) entschieden, dass die Verwertung von Bildaufnahmen keinen Grundrechtsverstoß darstellt. Die Auffassung des OLG Düsseldorf hat sich somit nicht durchgesetzen können.