Bundesregierung plant erbrechtliche Gleichstellung aller nichtehelichen Kinder

27.01.2010, Autor: Herr Michael Henn / Lesedauer ca. 3 Min. (3356 mal gelesen)
Auch vor dem 1. Juli 1949 geborene nichtehelichen Kinder sollen in Zukunft gleichgestellt sein


(Stuttgart) Die Bundesregierung plant offenbar eine Reform des Erbrechts, die zu einer erbrechtlichen Gleichstellung aller nichtehelichen Kinder führen soll und demnächst auch die nichtehelichen Kinder den ehelichen gleichstellt, die vor dem 1. Juli 1949 geboren sind.

Darauf verweist der Stuttgarter Fachanwalt für Erbrecht Michael Henn, Vizepräsident und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e. V. (DANSEF) mit Sitz in Stuttgart unter Bezugnahme auf die entsprechende Mitteilung des Bundesministers der Justiz vom 22.01.2010.
Nach den Worten von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sei die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Familienrecht weitgehend vollendet. Nichteheliche Kinder in der Bundesrepublik bekamen bereits 1970 ein gesetzliches Erbrecht. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Gleichstellung sei die Kindschaftsrechtsreform gewesen, die sie vor über zehn Jahren auf den Weg gebracht habe. Die politischen Weichenstellungen seien in der Gesellschaft angekommen. Heute sei es kein Makel, nicht verheiratete Eltern zu haben.
Aber bis heute gebe es nichteheliche Kinder, die nicht gesetzliche Erben ihrer Väter werden. Nach wie vor gelte eine alte Übergangsregelung, die bestimmte nichteheliche Kinder vom gesetzlichen Erbrecht ausschließe. Das soll nun geändert werden. Nichteheliche Kinder sollen in Zukunft auch dann erben, wenn sie vor dem 1. Juli 1949 geboren sind.
Zum Hintergrund:
1. Aktuelle Rechtslage
Im Erbrecht sind nichteheliche und eheliche Kinder grundsätzlich gleichgestellt. Nach wie vor hat jedoch eine Ausnahme Bestand, die das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 vorsah. Diese Sonderregelung führt dazu, dass vor dem 1. Juli 1949 geborene nichteheliche Kinder bis heute mit ihren Vätern als nicht verwandt gelten und daher auch kein gesetzliches Erbrecht haben.
2. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 28. Mai 2009 in einem Individualbeschwerdeverfahren festgestellt, dass die bisher im deutschen Erbrecht vorgesehene Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht.
3. Geplante Regelung
Ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sieht vor, dass alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder künftig gesetzliche Erben ihrer Väter werden:
· Für künftige Sterbefälle werden alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder ehelichen Kindern gleichgestellt. Sie beerben ihre Väter als gesetzliche Erben.
· Dieses Erbrecht der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder soll aber nicht zu Lasten von hinterbliebenen Ehefrauen und Lebenspartnern gehen. Um deren Vertrauen in die frühere Regelung zu schützen, wird ihnen eine gesetzliche Vorerbschaft eingeräumt. Das bedeutet: Stirbt der Vater, erben zunächst seine Ehefrau oder sein Lebenspartner. Erst wenn auch diese sterben, geht ihr Anteil als sog. Nacherbschaft an die betroffenen nichtehelichen Kinder.
· Bei Sterbefällen, die sich bereits vor Inkrafttreten der geplanten Neuregelung ereignet haben, sind die erbrechtlichen Folgen schon eingetreten. Das Vermögen des Verstorbenen ist bereits auf die nach alter Rechtslage berufenen Erben übergegangen. Um ihr Vertrauen in die entstandene Eigentumslage zu schützen, unterliegt die rückwirkende Entziehung solcher Erbschaften sehr engen verfassungsrechtlichen Grenzen:

o Möglich ist, die Neuregelung auf Todesfälle zu erweitern, die erst nach der Entscheidung des EGMR am 28. Mai 2009 eingetreten sind. Denn seit der Entscheidung können die nach altem Recht berufenen Erben nicht mehr auf ihr Erbe vertrauen.
o Für nichteheliche Kinder, deren Väter bereits vor dem 29. Mai 2009 verstorben sind, muss es aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich bei der früheren Rechtslage bleiben. Eine Ausnahme ist für Fälle geplant, bei denen der Staat selbst zum Erben geworden ist, zum Beispiel weil es weder Verwandte noch Ehegatten bzw. Lebenspartner gab oder weil die Erbschaft ausgeschlagen wurde. In solchen Konstellationen soll der Staat den Wert des von ihm ererbten Vermögens an die betroffenen nichtehelichen Kinder auszahlen.
Momentan erhalten die Länder und Verbände Gelegenheit, zu dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums Stellung zu nehmen.

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