Das Bedürftigentestament
07.04.2016, Autor: Frau Kerstin Prange / Lesedauer ca. 4 Min. (622 mal gelesen)
Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.02.2015 gibt erstmals verlässliche Hinweise, wie die Vorgaben des Sozialhilferechts bei der Gestaltung von Testamenten zugunsten von Personen umzusetzen sind, die Sozialleistungen beziehen, aber nicht Behinderte im Sinne des SGB IX sind.
Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.02.2015 gibt erstmals verlässliche Hinweise, wie die Vorgaben des Sozialhilferechts bei der Gestaltung von Testamenten zugunsten von Personen zu beachten sind, die Sozialleistungen in Form von Grundsicherungsleistungen im Alter, laufender Hilfe zum Lebensunterhalt oder Arbeitslosengeld II beziehen, aber nicht Behinderte im Sinne des SGB IX sind.
Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahre 2011 war zwar geklärt, dass ein Erblasser eine letztwillige Verfügung im Sinne eines klassisch ausgestalteten Behindertentestaments treffen kann und ein solches Testament nicht sittenwidrig ist. Die Entscheidung des BGH galt aber im Wesentlichen nur für solche letztwilligen Verfügungen, die der Erblasser zugunsten eines Familienangehörigen verfasste, der zur Gruppe der Behinderten im Sinne des § 2 SGB IX gehört und Hilfeleistungen nach dem SGB XII in Form von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen bezieht. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Testamente und Erbverträge auch bei abweichenden Sachverhalten und in anderen Gestaltungen sozialhilfefest sind, sollte erst nach einer Entscheidung des BSG beantwortet werden.
Das klassische Behindertentestament
Das Ziel, das Familienvermögen zu erhalten und vor dem Zugriff des Sozialleistungsträgers zusichern und gleichzeitig den Behinderten aus dem Nachlass Leistungen zu gewähren, die über die Sozialhilfe hinausgehen, wird beim klassischen Behinderten Testament durch die Kombination dreier erbrechtlicher Instrumente erreicht:
- Erbeinsetzung auf einen Teil der etwas höher ist als der Pflichtteil
- Testamentsvollstreckung als Dauervollstreckung
- Vor- und Nacherbfolge.
Konkret bedeutet dies.
Der Erblasser bestimmt zunächst, dass der Sozialleistungen Beziehende Erbe wird. Ein Testament mit dem der Erblasser bestimmen würde, dass andere Personen Erben werden, nicht aber der Hilfebedürftige, würde den Zugriff des Sozialleistungsträgers auf den Nachlass in den Fällen nicht verhindern, in denen der Hilfebedürftige zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört, also Kind, Ehegatte oder Elternteil des Erblassers ist. Diese Personen haben für den Fall, dass Sie nicht Erben werden, einen Anspruch darauf, dass ihnen ihr Pflichtteil, also die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils, ausgezahlt wird. Diesen Pflichtteilsanspruch kann der Sozialleitungsträger auf sich überleiten lassen und gegen den Erben selbst dann geltend machen, wenn der Pflichtteilsberechtigte dies nicht will, § 93 Abs. 1, Satz 4 SGB XII.
Gehört der Hilfebedürftige zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten sollte der Erbteil auf den er eingesetzt wird zudem größer sein, als sein Pflichtteil. Der Erbteil sollte also mehr als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils ausmachen, da sonst die Gefahr besteht, dass der Sozialleistungsträger verlangt, dass der Hilfebedürftige die Erbschaft ausschlägt um den höheren Pflichtteil zu erhalten.
Der Erblasser setzt den Hilfebedürftigen jedoch nicht zum Vollerben ein, sondern verfügt, dass er lediglich nicht befreiter Vorerbe wird. Als Vorerbe darf der Hilfebedürftige den Nachlass nicht verwerten. Dem Vorerben stehen lediglich die Erträge aus dem Nachlass zu. Bei Eintritt des Nacherbenfalls muss der Vorerbe den Nachlass sodann an den Nacherben herausgeben. Besteht der Nachlass zum Beispiel aus einem vermieteten Einfamilienhaus, so darf der Vorerbe das Haus nicht verkaufen. Die Mieten darf er jedoch einziehen und für sich behalten. Tritt der Nacherbenfall ein - was meist der Fall ist, wenn der Vorerbe verstirbt - geht das Eigentum an dem Haus auf den Nacherben über. Da der der hilfebedürftige Erbe als nicht befreiter Vorerbe nicht auf den Nachlass selber zugreifen kann, wird ihm der Nachlass auch nicht als Vermögen oder Einkommen auf die Hilfeleistungen nach dem SGB XII angerechnet. Der sogenannte Stamm des Nachlasses wird damit vor dem Zugriff des Sozialleistungsträgers geschützt.
Um sicherzustellen, dass dem Hilfebedürftigen auch die Erträge aus des Nachlasses nicht auf die Sozialleistungen angerechnet werden, wird beim klassischen Behindertentestament neben der Vorerbschaft durch den Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet. Gleichzeitig wird bestimmt, dass der Testamentsvollstrecker im Rahmen einer Dauerverwaltungsvollstreckung dem hilfsbedürftigen Erben aus den Erträgen des Erbteils diejenigen Zuwendungen zu leisten hat, die zur Verbesserung der Lebensqualität des Erben beitragen, jedoch nach dem Sozialhilferecht nicht dem Zugriff des Sozialleistungsträgers unterliegen und nicht auf Hilfeleistungen anzurechnen sind. Da Geldleistungen im Zweifel immer auf die Sozialleistungen anzurechnen sind, wird bestimmt, dass der Testamentsvollstrecker dem Hilfebedürftigen Naturalzuwendungen wie z.B. Fahrkarten für Besuche, Abonnements von Zeitschriften, Versorgung mit nicht von der Krankenkasse übernommenen Hilfsmitteln zu gewähren hat. Wird die Testamentsvollstreckung mit einer solchen Verwaltungsanordnung vom Erblasser verfügt, so wird sichergestellt, dass der hilfebedürftige Erbe auch über die Erträge des Nachlasses nicht verfügen kann und grundsätzlich das akzeptieren muss, was der Testamentsvollstrecker ihm aus dem Nachlass zuteilt.
Die Entscheidung des BSG zum Bedürftigentestament
Die Entscheidung des BSG vom 17.02.2015 beschäftigte sich erstmalig mit einem Fall, der vom klassischen Grundfall des Behindertentestaments abweicht. Der Erblasser hatte kein Familienmitglied, sondern eine Person zum Erben eingesetzt, die mit ihm nicht eng verwandt war und der gegenüber er auch nicht unterhaltpflichtig war. Der Erbe war nicht behindert, sondern lediglich bedürftig und der Erblasser hatte auch keine Vor- und Nacherbschaft, sondern lediglich Testamentsvollstreckung angeordnet und bestimmt, dass dem Erben und seinen Kindern aus dem Nachlass dauerhaft nur Erträge zugewendet werden sollen. Auch den Stamm des Nachlasses brauchte der Testamentsvollstrecker nicht zu erhalten, wenn es nach seinem freien Ermessen untunlich war.
Der BSG konnte zwar mangels der notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt in der Vorinstanz nicht selber darüber entscheiden, ob dem Erben neben den Leistungen aus dem Nachlass auch Sozialhilfe zu leisten war. Nach den in der Entscheidung des BSG getroffenen Aussagen ist jedoch zukünftig davon auszugehen, dass die zum Behindertentestament entwickelten Grundsätze auch auf das Testament zugunsten eines Bedürftigen anzuwenden sind. Der BSG hat insbesondere und ausdrücklich festgestellt, dass eine angeordnete Dauertestamentsvollstreckung bei einer Erbeinsetzung nicht sittenwidrig ist und vom Antragsteller nicht zwecks Leistungsbewilligung nach dem SGB II angefochten werden muss.
Die zum Behindertentestament entwickelten Gestaltungsmöglichkeiten können also auch dann angewendet werden, wenn ein Testament zugunsten eines Bedürftigen aufgesetzt werden soll.
Der konkreten Formulierung Ihres Testaments sollte aber wegen der in jedem Einzelfall zu berücksichtigenden Besonderheiten und der Fallstricke ungenauer oder von juristischen Laien oft falsch verwendeter Begriffe, eine Beratung durch den auf das Erbrecht spezialisierten Anwalt vorausgehen.
Sprechen Sie uns zu Fragen der Gestaltung Ihres Testaments gern an.
Kerstin Prange
Rechtsanwältin
https://www.hamburg-rechtsanwaeltin.de
Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.02.2015 gibt erstmals verlässliche Hinweise, wie die Vorgaben des Sozialhilferechts bei der Gestaltung von Testamenten zugunsten von Personen zu beachten sind, die Sozialleistungen in Form von Grundsicherungsleistungen im Alter, laufender Hilfe zum Lebensunterhalt oder Arbeitslosengeld II beziehen, aber nicht Behinderte im Sinne des SGB IX sind.
Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahre 2011 war zwar geklärt, dass ein Erblasser eine letztwillige Verfügung im Sinne eines klassisch ausgestalteten Behindertentestaments treffen kann und ein solches Testament nicht sittenwidrig ist. Die Entscheidung des BGH galt aber im Wesentlichen nur für solche letztwilligen Verfügungen, die der Erblasser zugunsten eines Familienangehörigen verfasste, der zur Gruppe der Behinderten im Sinne des § 2 SGB IX gehört und Hilfeleistungen nach dem SGB XII in Form von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen bezieht. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Testamente und Erbverträge auch bei abweichenden Sachverhalten und in anderen Gestaltungen sozialhilfefest sind, sollte erst nach einer Entscheidung des BSG beantwortet werden.
Das klassische Behindertentestament
Das Ziel, das Familienvermögen zu erhalten und vor dem Zugriff des Sozialleistungsträgers zusichern und gleichzeitig den Behinderten aus dem Nachlass Leistungen zu gewähren, die über die Sozialhilfe hinausgehen, wird beim klassischen Behinderten Testament durch die Kombination dreier erbrechtlicher Instrumente erreicht:
- Erbeinsetzung auf einen Teil der etwas höher ist als der Pflichtteil
- Testamentsvollstreckung als Dauervollstreckung
- Vor- und Nacherbfolge.
Konkret bedeutet dies.
Der Erblasser bestimmt zunächst, dass der Sozialleistungen Beziehende Erbe wird. Ein Testament mit dem der Erblasser bestimmen würde, dass andere Personen Erben werden, nicht aber der Hilfebedürftige, würde den Zugriff des Sozialleistungsträgers auf den Nachlass in den Fällen nicht verhindern, in denen der Hilfebedürftige zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört, also Kind, Ehegatte oder Elternteil des Erblassers ist. Diese Personen haben für den Fall, dass Sie nicht Erben werden, einen Anspruch darauf, dass ihnen ihr Pflichtteil, also die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils, ausgezahlt wird. Diesen Pflichtteilsanspruch kann der Sozialleitungsträger auf sich überleiten lassen und gegen den Erben selbst dann geltend machen, wenn der Pflichtteilsberechtigte dies nicht will, § 93 Abs. 1, Satz 4 SGB XII.
Gehört der Hilfebedürftige zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten sollte der Erbteil auf den er eingesetzt wird zudem größer sein, als sein Pflichtteil. Der Erbteil sollte also mehr als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils ausmachen, da sonst die Gefahr besteht, dass der Sozialleistungsträger verlangt, dass der Hilfebedürftige die Erbschaft ausschlägt um den höheren Pflichtteil zu erhalten.
Der Erblasser setzt den Hilfebedürftigen jedoch nicht zum Vollerben ein, sondern verfügt, dass er lediglich nicht befreiter Vorerbe wird. Als Vorerbe darf der Hilfebedürftige den Nachlass nicht verwerten. Dem Vorerben stehen lediglich die Erträge aus dem Nachlass zu. Bei Eintritt des Nacherbenfalls muss der Vorerbe den Nachlass sodann an den Nacherben herausgeben. Besteht der Nachlass zum Beispiel aus einem vermieteten Einfamilienhaus, so darf der Vorerbe das Haus nicht verkaufen. Die Mieten darf er jedoch einziehen und für sich behalten. Tritt der Nacherbenfall ein - was meist der Fall ist, wenn der Vorerbe verstirbt - geht das Eigentum an dem Haus auf den Nacherben über. Da der der hilfebedürftige Erbe als nicht befreiter Vorerbe nicht auf den Nachlass selber zugreifen kann, wird ihm der Nachlass auch nicht als Vermögen oder Einkommen auf die Hilfeleistungen nach dem SGB XII angerechnet. Der sogenannte Stamm des Nachlasses wird damit vor dem Zugriff des Sozialleistungsträgers geschützt.
Um sicherzustellen, dass dem Hilfebedürftigen auch die Erträge aus des Nachlasses nicht auf die Sozialleistungen angerechnet werden, wird beim klassischen Behindertentestament neben der Vorerbschaft durch den Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet. Gleichzeitig wird bestimmt, dass der Testamentsvollstrecker im Rahmen einer Dauerverwaltungsvollstreckung dem hilfsbedürftigen Erben aus den Erträgen des Erbteils diejenigen Zuwendungen zu leisten hat, die zur Verbesserung der Lebensqualität des Erben beitragen, jedoch nach dem Sozialhilferecht nicht dem Zugriff des Sozialleistungsträgers unterliegen und nicht auf Hilfeleistungen anzurechnen sind. Da Geldleistungen im Zweifel immer auf die Sozialleistungen anzurechnen sind, wird bestimmt, dass der Testamentsvollstrecker dem Hilfebedürftigen Naturalzuwendungen wie z.B. Fahrkarten für Besuche, Abonnements von Zeitschriften, Versorgung mit nicht von der Krankenkasse übernommenen Hilfsmitteln zu gewähren hat. Wird die Testamentsvollstreckung mit einer solchen Verwaltungsanordnung vom Erblasser verfügt, so wird sichergestellt, dass der hilfebedürftige Erbe auch über die Erträge des Nachlasses nicht verfügen kann und grundsätzlich das akzeptieren muss, was der Testamentsvollstrecker ihm aus dem Nachlass zuteilt.
Die Entscheidung des BSG zum Bedürftigentestament
Die Entscheidung des BSG vom 17.02.2015 beschäftigte sich erstmalig mit einem Fall, der vom klassischen Grundfall des Behindertentestaments abweicht. Der Erblasser hatte kein Familienmitglied, sondern eine Person zum Erben eingesetzt, die mit ihm nicht eng verwandt war und der gegenüber er auch nicht unterhaltpflichtig war. Der Erbe war nicht behindert, sondern lediglich bedürftig und der Erblasser hatte auch keine Vor- und Nacherbschaft, sondern lediglich Testamentsvollstreckung angeordnet und bestimmt, dass dem Erben und seinen Kindern aus dem Nachlass dauerhaft nur Erträge zugewendet werden sollen. Auch den Stamm des Nachlasses brauchte der Testamentsvollstrecker nicht zu erhalten, wenn es nach seinem freien Ermessen untunlich war.
Der BSG konnte zwar mangels der notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt in der Vorinstanz nicht selber darüber entscheiden, ob dem Erben neben den Leistungen aus dem Nachlass auch Sozialhilfe zu leisten war. Nach den in der Entscheidung des BSG getroffenen Aussagen ist jedoch zukünftig davon auszugehen, dass die zum Behindertentestament entwickelten Grundsätze auch auf das Testament zugunsten eines Bedürftigen anzuwenden sind. Der BSG hat insbesondere und ausdrücklich festgestellt, dass eine angeordnete Dauertestamentsvollstreckung bei einer Erbeinsetzung nicht sittenwidrig ist und vom Antragsteller nicht zwecks Leistungsbewilligung nach dem SGB II angefochten werden muss.
Die zum Behindertentestament entwickelten Gestaltungsmöglichkeiten können also auch dann angewendet werden, wenn ein Testament zugunsten eines Bedürftigen aufgesetzt werden soll.
Der konkreten Formulierung Ihres Testaments sollte aber wegen der in jedem Einzelfall zu berücksichtigenden Besonderheiten und der Fallstricke ungenauer oder von juristischen Laien oft falsch verwendeter Begriffe, eine Beratung durch den auf das Erbrecht spezialisierten Anwalt vorausgehen.
Sprechen Sie uns zu Fragen der Gestaltung Ihres Testaments gern an.
Kerstin Prange
Rechtsanwältin
https://www.hamburg-rechtsanwaeltin.de